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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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direkt zu antworten. Ivan bemerkte nur: »Du hast eine Gabe, mein Freund. Du darfst sie nicht brachliegen lassen.« Darüber hinaus freute Ivan sich einfach nur darüber, dass seiner Schreibgruppe immer größerer Zulauf beschert war. Zusätzlich zu dem Drehbuchkurs bei Paddington Arts bot er dort auch noch einen Lyrikkurs an, aber Joel konnte sich nicht vorstellen, daran teilzunehmen. Er konnte sich nichtvorstellen, ein Gedicht schreiben zu müssen. So funktionierte der Schaffensakt bei ihm nicht.
    Als er fünfunddreißig Werke verfasst hatte, beschloss er, Ivan einige davon zu zeigen. Er wählte vier aus, die er mochte, und an einem Tag, da er Toby vom Lernzentrum abholen musste, ging er früher als nötig von zu Hause los und machte sich auf den Weg zur Sixth Avenue.
    Er traf Ivan wieder einmal in weißen Handschuhen bei der Arbeit an einer Uhr an. Dieses Mal handelte es sich jedoch nicht um einen Zusammenbau, erklärte Ivan, sondern um Reinigungsarbeiten an einer Uhr, die die eigenartige Gewohnheit entwickelt hatte, die halbe Stunde immer dann zu schlagen, wenn die Lust sie überkam. »Für einen Zeitmesser ein vollkommen inakzeptables Verhalten«, sagte er, während er ihn ins Wohnzimmer führte. Dort lagen auf dem Tisch unter dem Fenster die Bestandteile dieser Uhr säuberlich auf einem weißen Tuch aufgereiht, daneben ein kleines Ölkännchen, eine Pinzette und eine Sammlung winziger Schraubenzieher. Ivan wies Joel einen Sessel am Kamin. Früher waren darin einmal Kohlen verfeuert worden, aber heute stand eine elektrische Kaminfeuerimitation auf dem Rost, achtlos hineinbugsiert und nicht eingeschaltet. »Dies ist eine fürchterlich eintönige Arbeit, und du lenkst mich davon ab, wofür ich dir dankbar bin«, gestand Ivan.
    Zuerst glaubte Joel, Ivan sähe diese Ablenkung in seinen vier Gedichten, also holte er die Blätter aus der Tasche und faltete sie auseinander, ohne sich zu fragen, woher der Mann den Grund seines Kommens kannte. Doch Ivan steckte sich lediglich ein Minzezweiglein in den Mund und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Dann erzählte er von einer Kunstausstellung am Südufer der Themse, die er besucht hatte. Ein klarer Fall von »Des Kaisers neue was auch immer«, sagte er. Eines der Kunstwerke hatte aus einem Urinal unter Plexiglas bestanden, das der Künstler signiert hatte, ein zweites aus einem Glas Wasser auf einem hoch an der Wand angebrachten Regalbrett, und es hatte den Titel »Eiche« getragen, wie das Schildchen daneben den Betrachter informierte. »Dann gab es einen Raum, dergänzlich von einer zornigen Lesbe gestaltet war, die aus Sofas Skulpturen beim Geschlechtsakt macht. Frag nicht! Ich kann dir nicht sagen, was ihre Botschaft war, aber ihr Zorn war unverkennbar. Magst du Kunst, Joel?«
    Ivans Frage kam so plötzlich, dass Joel sie zuerst gar nicht wahrnahm und nicht begriff, dass seine Meinung gefragt war. Doch dann schaute Ivan von seiner Arbeit auf, und seine Miene war so freundlich und erwartungsvoll, dass Joel ausnahmsweise einmal spontan reagierte, ohne seine Antwort zuvor zu zensieren. »Cal kann gut zeichnen«, sagte er. »Ich hab seine Bilder geseh'n.«
    Ivan runzelte die Stirn. Dann hob er einen Finger. »Ah! Calvin Hancock. Stanleys rechte Hand. Ja. Er hat etwas Besonderes, nicht wahr? Ungeschult, was eine Schande ist, und unwillig, sich schulen zu lassen, was noch schlimmer ist. Aber ein enormes Talent. Ich merke, du hast ein Auge für dergleichen. Und wie steht es mit dem Rest? Bist du je in einem der vielen großen Museen der Stadt gewesen?«
    Joel war noch nie im Museum gewesen, aber das wollte er nicht sagen, darum murmelte er: »Dad war mal mit uns am Trafalgar Square.«
    »Ah. Die National Gallery. Wie hat es dir gefallen? Ein bisschen angestaubt, wie? Oder hatten sie eine Sonderausstellung?«
    Joel entdeckte einen losen Faden am Saum seines T-Shirts und zupfte daran herum. Er wusste, dass es irgendein Museum am Trafalgar Square gab, aber sie waren nur hingegangen, um sich die großen Taubenschwärme anzusehen. Sie hatten sich auf einen der Brunnen gesetzt und die Vögel beobachtet, und Toby hatte auf den Löwen am Fuß der Säule in der Platzmitte klettern wollen. Ein Straßenmusiker hatte Akkordeon gespielt, und sie hatten eine junge Frau gesehen, die ganz in Gold angemalt war und reglos wie ein Standbild posierte, und die Passanten konnten Geld in den Eimer zu ihren Füßen werfen. Bei einem Verkäufer am Rand des Platzes hatten sie Eis gekauft. Es war viel

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