Am Ende war die Tat
bräche.
Er brauchte mehrere Anläufe. Beim vierten Mal klappte es.
Inzwischen war Cal an der Fassade hochgeklettert, saß rittlings auf der Mauer und streckte eine Hand aus. Doch Joel ergriff sie nicht. Jetzt hatte er es fast geschafft; die Probe, auf die The Blade ihn gestellt hatte, war bestanden. Er wollte, dass Cal Hancock Mr. Stanley Hynds eine Nachricht übermittelte: Der Junge hat es geschafft, und zwar ganz allein.
Er schwang ein Bein über die Mauer und imitierte Cals Pose, doch im Gegensatz zu Cal musste er sich festklammern wie ein Schiffbrüchiger. »Erzähl's ihm, Mann«, sagte er, ehe seine Kräfte schwanden. Er fiel von der Mauerkrone auf die Erde.
Cal sprang herunter und half ihm auf die Füße. »Okay?«, fragte er besorgt. »Paar Leute ha'm sich gefragt, wo du bis'.«
Joel sah blinzelnd zu Cal auf. Das Denken fiel ihm schwer. »Willste mich verarschen, Mann?«
»Quatsch. Ich war an eurem Haus, und da waren Cops bei deiner Tante. Ich schätze, du bis' fällig, wenn du nach Hause komms'.«
»Scheiße.« Das hatte Joel sich nicht ausgemalt. Wie die meisten Leute war seine Tante kein großer Fan der Polizei, und es war schwer zu glauben, dass sie dort angerufen haben sollte. »Ich muss schleunigst heim«, sagte er. »Wann kann ich denn mit The Blade sprechen?«
»Mit den Bullen wird er dir nich' helfen. Damit biste allein, Bruder.«
»Das hab ich nich' gemeint. Ich muss mit ihm über diesen Typen reden, den er mir vom Hals schaffen soll.«
»Er schafft ihn dir vom Hals, wenn er's für richtig hält.«
»Hey!«, protestierte Joel. »Hab ich denn nich' grad ...«
»So läuft das nich'.« Cal ging voraus durch die Hecke und zurück zum Hauptweg des Friedhofs. Dort hielt er einen Moment inne, um auf einem Stück Asphalt, das der Wind frei gefegt hatte, seine Schuhsohlen zu säubern. Er sah sich um wie jemand, der fürchtet, belauscht zu werden, und sagte dann leise, ohne den Kopf zu heben: »Du kanns' immer noch aussteigen, Bruder. Die Möglichkeit bleibt dir.«
»Wie, aussteigen?«, fragte Joel.
»Junge, er meint's nich' gut mit dir. Verstehste? Das hier war erst der Anfang.«
»Von wem redest du? The Blade? Cal, ich hab ihm doch das Messer zurückgegeben. Und du wars' nich' dabei, als wir geredet ha'm. Wir ha'm alles geklärt. Wir sind cool.«
»Mit Reden klärt der gar nix, Kleiner. So ist der nich'.«
»Er war ehrlich zu mir. Wie gesagt, du wars' nich' dabei. Und außerdem, ich hab getan, was er wollte. Er kann seh'n, dass ich genauso ehrlich zu ihm bin. Jetz' könn' wir den nächsten Schritt machen.«
Cal, der den Blick die ganze Zeit auf seine Schuhe gerichtet hatte, sah nun auf. Er fragte: »Was meinste eigentlich, wohin das führ'n soll? Wenn The Blade sich diesen Typen vornimmt, biste ihm was schuldig, kapiert? Du has' Familie, Bruder. Wieso denkste nich' mal an die?«
»Das tu ich doch grade«, wandte Joel ein. »Was glaubste denn, für wen ich das hier mache?«
»Das sollteste dich schleunigst selber fragen«, erwiderte Cal. »Und was glaubste, warum er das tut?«
22
Als Joel in den Edenham Way einbog, sah er Dix D'Courts Auto vor dem Haus seiner Tante. Er war durchgefroren, nass, hungrig und hundemüde. Er war also nicht gerade in Topform, um sich aus der Konfrontation, die ihn erwartete, schnell herauszureden. Er hielt inne, versteckte sich hinter einem Müllcontainer, verharrte dort ein paar Minuten und überlegte, was er seiner Tante sagen sollte. Die Wahrheit wohl besser nicht.
Zuerst erwog er, in seinem Versteck zu bleiben, bis Kendra zur Arbeit ging, was eher früher als später der Fall sein würde. Sie musste Toby schließlich noch zur Schule bringen. Auch Ness würde sich bald auf den Weg machen. Dann würde das Haus leer sein, denn Dix würde kaum dort bleiben wollen, wenn Kendra weg war. Somit hätte Joel den ganzen Tag Zeit, sich etwas zurechtzulegen. Er musste nur warten.
Aber er konnte nicht mehr warten. Sieben Minuten hinter dem Müllcontainer, und ihm war klar, dass er nicht länger draußen in der Kälte bleiben konnte. Er schlängelte sich aus seinem Versteck und trottete zum Haus hinüber. Wie ein Zombie schleppte er sich die vier Eingangsstufen hinauf.
Statt zu klingeln, nahm er seinen Schlüssel, aber das Kratzen am Türschloss reichte schon, um seine Familie zu alarmieren. Die Tür wurde aufgerissen. Er rechnete damit, seine Tante zu sehen, wütend und bereit, sich auf ihn zu stürzen, aber es war Ness, die die Hand an der Klinke hatte und ihm den
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