Am Ende war die Tat
Weg versperrte. Sie musterte ihn kurz und rief dann über die Schulter: »Tante Ken, der kleine Drecksack ist wieder da.« Und dann, an Joel gewandt: »Du kannst was erleben, Mann. Wir hatten die Bullen hier, die Schule hat angerufen, und das Jugendamt weiß auch Bescheid. Wo hast du gesteckt?« Und dann leiser: »Joel, biste auf Drogen oder so?«
Er antwortete nicht, und das war auch nicht nötig, denn in diesem Moment wurde die Tür weiter aufgerissen. Kendra. Sie trug immer noch dieselben Sachen wie vor zwei Tagen. Ihre Augen waren rot gerändert, und dunkle Ringe hingen wie Blutergüsse darunter. »Wo warst du? Was hast du ... Wer hat dich ...« Und dann fing sie an zu weinen. Es war der Stress, der plötzlich nachließ, aber da Joel seine Tante überhaupt erst ein Mal hatte weinen sehen, wusste er nicht, wie er sich verhalten sollte. Sie packte und umarmte ihn fest, doch die Umarmung wurde zu Fäusten, die auf seinen Rücken trommelten, selbst wenn die Fäuste nicht mehr Kraft hatten als der Herzschlag eines Vögelchens.
Über ihre Schulter sah Joel Toby im Schlafanzug aus der Küche kommen. In Cowboystiefeln stapfte er über den PVC- Boden. Hinter ihm stand Dix D'Court in der Mitte der Küche, sein Gesicht ausdruckslos. Er betrachtete die Szene einen Moment, dann kam er herüber und löste Kendra behutsam von Joel. Er drehte sie zu sich um und umarmte sie und bedachte Joel mit einem missbilligenden Kopfschütteln, ehe er sie zur Treppe führte. Bevor er hinaufstieg, sagte er zu Ness: »Besser, du rufst die Cops an und sagst ihnen, dass er wieder da ist.«
Ness knallte die Haustür zu und ging zum Telefon, um seiner Bitte Folge zu leisten. Sie ließ Joel stehen, und er fand sich in einer Art von Einzelhaft, mit der er nicht gerechnet hatte und die er als weit schlimmer empfand, als zwei Nächte in einem Mausoleum eingesperrt zu sein. Es erschien ihm ungerecht, dass er wie ein Aussätziger behandelt wurde, statt mit Schulterklopfen und Erleichterung zu Hause willkommen geheißen zu werden. Er wollte fragen: Wisst ihr eigentlich, was ich für euch auf mich genommen habe?
Unabsichtlich steigerte Toby Joels Empörung. »Dix is' zurückgekommen«, sagte er zu Joel. »Tante Ken hat ihn angerufen, als du nich' heimgekommen bist, weil sie dachte, du warst vielleicht mit ihm im Fitnessstudio oder so. Und Ivan hat gesagt, er wüsste auch nich', wo du bist ...«
»Was? Sie hat Ivan angerufen?«
»Sie hat jeden angerufen. War schon spät, als sie bei Ivan angerufen hat. Sie dachte, er wär vielleicht mit dir ins Kino oder so, aber er hat Nein gesagt. Dann hat sie gedacht, du hättest Ärger mit den Cops, und drum hat sie die angerufen. Dann hat sie geglaubt, dieser Neal hätt dich vielleicht überfall'n und ...«
»Okay. Halt die Klappe«, sagte Joel.
»Aber ich wollte ...«
»Hey. Ich hab gesagt, halt die Klappe! Mir doch egal. Halt die Klappe.«
Toby traten Tränen in die Augen. Dieser Joel war ihm fremd. Er kam näher und zupfte ihn am Anorakärmel. »Du bist ja ganz nass«, sagte er. »Du musst dich umzieh'n. Tante Ken hat mir einen Pulli aus ihrem Laden geschenkt, als sie mich von der Schule geholt hat, und du kannst ...«
»Halt die Klappe! Halt die Klappe! Halt die Klappe!« Joel stieß Toby beiseite und ging in die Küche. Toby rannte schluchzend zur Treppe. Joel verabscheute sich dafür, dass er seinen kleinen Bruder gekränkt hatte, aber ebenso verabscheute er Toby, weil er so dämlich war, nicht zu tun, was man ihm sagte, ohne dass man ihn anbrüllen musste.
Ness beendete ihr Telefonat, als Joel an den Küchentisch trat und sich auf einen Stuhl fallen ließ. Er verschränkte die Arme auf einem dicken Stapel Zeitungen und bettete den Kopf darauf. Er wollte nur seine Ruhe. Er verstand nicht, warum alle so einen Aufstand machten, als hätte er das Verbrechen des Jahrhunderts begangen, wo Ness doch öfter als einmal die ganze Nacht weggeblieben war. Ihr hatte keiner beim Nachhausekommen so eine Szene gemacht. Sie taten alle gerade so, als hätte er einen Selbstmord vorgetäuscht oder Ähnliches.
»Das haste echt super hingekriegt, Mann«, sagte Ness und zündete sich eine Zigarette an. Der Schwefeldunst des Streichholzes und der Geruch des brennenden Tabaks wehten zu Joel herüber, und sein Magen krampfte sich zusammen. »Fabia Bender war hier und hat davon geredet, dass es Zeit wird, dich irgendwohin zu schicken, wo sie dir Verstand eintrichtern, eh du richtig in Schwierigkeiten gerätst. Die Cops haben
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