Am Ende war die Tat
hier jeden Zentimeter abgesucht, als hätten wir dich umgebracht. Irgendso'n Detective is' sogar in die Klinik gefahr'n und hat versucht, aus Mum was Vernünftiges rauszuhol'n. Eins muss man dir lassen: Wenn du Scheiße baust, dann richtig. Also, wo bist du gewesen?«
Joel schüttelte den Kopf, ohne ihn anzuheben. »Wieso macht sie so'n Theater?«
»Haste nix davon gehört?«
Joel hob müde den Kopf. Ness kam an den Tisch, die Zigarette im Mundwinkel, und bedeutete ihm, die Arme von den Zeitungen zu nehmen. Sie drehte sie so, dass die Titelseite vor ihm lag. »Guck dir das hier ma' an«, sagte Ness. »Tante Ken hat gedacht... Na ja, ich schätze, du bist schlau genug, dir das selbst zusammenzureimen.«
Joel starrte auf die Zeitung. »Wieder ein Toter!«, stand in Riesenlettern auf der Titelseite. Drei Fotos darunter zeigten eine Eisenbahnunterführung, die mit Polizeiband abgesperrt war, eine Gruppe Menschen, die sich ernst unterhielten, und einen abseitsstehenden blonden Mann in einem eleganten Mantel, der ein Handy am Ohr hielt und den die Bildunterschrift als Detective Superintendent von Scotland Yard bezeichnete. Joel sah wieder zu seiner Schwester auf. »Ich kapier's nich'. Hat Tante Ken gedacht...«
»Natürlich hat sie das gedacht«, erwiderte Ness. »Was denn sonst? Du hast gesagt, du bist krank und gehst nach Haus, und dann warste nich' hier. Dann hat sie diesen Ivan angerufen, und er sagt, er hat dich nich' geseh'n, aber da hatte sie schon stundenlang versucht, ihn zu erreichen, und sie hat geglaubt, er hat dir was getan, wegen dieser Sache, die in den Zeitungen steht. Also ruft sie die Cops an, und die holen sich diesen Ivan aufs Revier und quetschen ihn aus.«
»Ivan?«, stöhnte Joel. »Die Cops haben Ivan verhört?«
»Aber hallo. Was hast du denn gedacht? Die ha'm ihn also in die Mangel genommen, und die ganze Zeit warst du ... wo?«
Joel stierte auf die Zeitung. Er konnte nicht fassen, was alles passiert war, nur weil er für zwei Nächte verschwundengewesen war. Und es hätte kaum schlimmer kommen können: Die Polizei war eingeschaltet worden, Ivan belästigt und das Jugendamt in Gestalt von Fabia Bender aufgeschreckt, auf deren Radarschirm er ohnehin schon rot markiert war. Ihm wurde ganz schwindlig von all diesen Hiobsbotschaften.
»In ganz London sind Jungen ermordet worden«, sagte Ness. »Der da in dem Artikel ist irgendwie der fünfte oder sechste oder so. Alle in deinem Alter. Also, du kommst nich' nach Hause, und Tante Ken sieht das hier in der Zeitung. Cordie hat sie ihr gebracht. Und da denkt sie natürlich, diese Leiche da bist du. Du hast so richtig Scheiße gebaut. Du kannst dich auf was gefasst machen. Ich möcht echt nich' mit dir tauschen.«
»Da hat sie recht.« Dix war wieder nach unten gekommen. Er betrachtete den Jungen mit derselben Missbilligung wie zuvor schon. Er hielt ein Glas in der Hand, trug es zur Spüle und wusch es aus. »Wo bist du gewesen, Joel? Was hast du gemacht?«
»Wieso habt ihr sie nich' davon abgehalten, die Bullen zu rufen?«, fragte Joel verzweifelt. Seine Tante hatte alles in schlimmerem Maße verkompliziert, als er es sich je hätte vorstellen können, und das ausgerechnet in dem Moment, da er kurz davor war, alles wieder in Ordnung zu bringen. Sie hatte all seine Bemühungen zunichtegemacht. Er war verzweifelt.
»Ich hab dich was gefragt, Mann. Ich will eine Antwort«, forderte Dix.
Das brachte Joel auf die Barrikaden. Der Tonfall. Dieser väterliche Tonfall. Was immer Dix in ihrem Leben für eine Rolle spielen mochte, es war ganz sicher nicht die des Vaters. »Hey«, gab Joel zurück. »Verpiss dich. Ich muss dir gar nix sagen ...«
»Pass lieber auf, wie du mit mir redest«, unterbrach Dix.
»Ich kann sagen, was ich will. Du has' nich' über mein Leben zu bestimm'.«
»Joel«, sagte Ness in einem Ton, der halb warnend und halb bittend war, und das allein war schon ungewöhnlich. Joel war augenblicklich klar, dass seine Schwester ins feindliche
Lager übergelaufen war. Er erhob sich und wandte sich zur Treppe.
»Denk ja nich', wir wär'n schon fertig. Wir sprechen uns später«, drohte Dix.
»Mir doch egal«, gab Joel zurück und ging nach oben.
Er hörte Dix hinter sich und dachte schon, der Bodybuilder wolle ihm zu Leibe rücken. Doch statt Joel in sein Zimmer zu folgen, ging er zurück zu Kendra und schloss die Tür hinter sich.
Kendra lag auf dem Bett und hatte einen Arm über die Augen gedeckt, als Dix sich auf die Bettkante
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