Am Ende war die Tat
Tash is' in Ordnung.«
»Wieso? Stehste da drauf?«, fragte Ness.
Das war die Art Bemerkung, die Six unter anderen Umständen vielleicht dazu veranlasst hätte, eine Prügelei mit Ness anzuzetteln, aber sie war unwillig, irgendetwas zu tun, was sie aus dem angenehmen Rausch reißen konnte. Darüber hinaus wusste sie genau, was Ness so verärgerte, und sie gedachte nicht, sich auf fruchtlose Diskussionen einzulassen, nur weil Ness nicht sagen konnte, was sie eigentlich meinte. Six war kein Mädchen, das um den heißen Brei herumredete. Sie hatte von Kindesbeinen an gelernt, direkt zu sein - die einzige Möglichkeit, sich in ihrer Familie Gehör zu verschaffen.
»Du kannst dazugehören, mit oder ohne das Zeug«, sagte sie. »Mir is' das egal. Liegt ganz bei dir. Ich und Tash könn' dich gut leiden, aber wir ändern uns nich', damit wir dir ge- fall'n, Ness.« Und an Natasha gewandt: »Is' das cool für dich, oder, Tash?«
Natasha nickte, obwohl sie keine Ahnung hatte, wovon Six eigentlich sprach. Natasha war schon lange das Anhängsel: Sie brauchte jemanden, der wusste, wohin die Reise ging, und der sie mitschleifte, sodass sie selbst nicht nachdenken oder eigene Entscheidungen treffen musste. Darum war für sie so gut wie alles »cool«, was um sie herum geschah, solange das jeweilige Objekt ihrer parasitischen Anbetung der Auslöser war.
Six' kleine Ansprache brachte Ness in eine schwierige Position: Sie wollte nicht verwundbar sein - weder durch diese beiden noch durch sonst irgendjemanden -, doch die Mädchen verhießen ihr ein gewisses Gemeinschaftsgefühl und eine Ausflucht. Sie versuchte, die Kurve zu kriegen. »Gib ma' 'ne Kippe«, sagte sie, bemüht darum, gelangweilt zu klingen. »Für alles andere is' mir sowieso noch zu früh.«
»Grad has' du noch gesagt ...«
Six hatte keine Lust auf Streit und fiel Natasha ins Wort: »Genau. Zu früh.« Sie warf Ness ein Zigarettenpäckchen und ein Plastikfeuerzeug zu. Ness fingerte eine Zigarette hervor und zündete sie sich an, ehe sie beides an Natasha weiterreichte. Damit senkte sich so etwas wie Frieden auf sie herab, und sie konnten endlich den restlichen Tag planen.
Seit Wochen folgte ihr Tagesablauf einem festen Muster. Morgens waren sie bei Six zu Hause. Six' Mutter war nicht da, der Bruder in der Schule, die beiden Schwestern entweder noch im Bett oder zu Besuch bei ihren drei älteren Geschwistern, die mit ihrem Nachwuchs in den benachbarten Siedlungen wohnten. Ness, Natasha und Six nutzten diese Zeit, um sich gegenseitig zu frisieren, zu schminken und die Nägel zu lackieren, während sie Radio hörten. Gegen halb zwölf machten sie sich auf den Weg in Richtung Kilburn Lane, um nachzusehen, was dort »ging«, und um am Zeitungskiosk Zigaretten zu klauen, Gin in der Spirituosenhandlung, gebrauchte Kassetten bei Apollo Video und im AI Morooj Market alles, was nicht niet- und nagelfest war. Sie waren nur mäßig erfolgreich, denn allein ihr Erscheinen reichte, um die Wachsamkeit der jeweiligen Ladenbesitzer zu schärfen. Die Herren drohten den Mädchen regelmäßig mit der Schulbehörde - ein Einschüchterungsversuch, den keine von ihnen ernst nahm.
Wenn sie nicht zur Kilburn Lane gingen, fuhren sie die kurze Busstrecke zum Queensway in Bayswater, wo zahllose Attraktionen lockten: Internetcafes, die Einkaufspassage in Whiteley's, die Schlittschuhbahn, einige Boutiquen und - Hort ihrer größten Sehnsucht - ein Handyladen. Ohne Mobiltelefon konnte ein Heranwachsender in London sich nicht vollkommen fühlen, und so kam es, dass der Höhepunkt ihrer Ausflüge zum Queensway immer der Handyladen war - der heilige Schrein am Ende ihrer Wallfahrt.
Regelmäßig forderte man sie dort auf, das Geschäft zu verlassen, was ihre Gier aber lediglich steigerte. Die Anschaffung eines Handys lag außerhalb ihrer - nicht existenten - finanziellen Möglichkeiten, nicht jedoch außerhalb ihrer kriminellen Fantasien.
»Wir könnten uns gegenseitig SMS schicken«, sagte Six. »Du könntest an einem Ort sein, ich am andern. Wir bräuchten echt nur so 'n Handy, Tash.«
»Hmh.« Natasha seufzte.
»Planen, wo wir uns treffen.«
»Shit von einem der Jungs organisieren, wenn wir was brauchen.«
»Genau. Wir müssen so'n Handy kriegen. Hat deine Tante eins, Ness?«
»Klar.«
»Wieso klauste das nich' einfach?«
»Weil wenn ich das mach, hat sie mich dran. Mir is' lieber, sie beachtet mich nich'.«
Das war nicht gelogen. Weil sie klug und diszipliniert genug war, nur am
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