Am Ende war die Tat
Hyde Park Hilton putzte oder in der Wäscherei des Dorchester Hotels Laken und Kissenbezüge bügelte. Wie die meisten Mütter in ihrer Situation wünschte sie sich für ihre Kinder eine bessere Zukunft. Dass drei von ihnen bereits in ihre Fußstapfen getreten waren - unverheiratet und in überschaubaren Abständen schwanger von immer neuen nutzlosen Kerlen -, hielt sie für pure Bockigkeit. Dass drei der übrigen vier ebenfalls in diese Richtung steuerten, weigerte sie sich zu erkennen. Nur ein einziges ihrer Kinder besuchte halbwegs regelmäßig die Schule, was ihm den Spitznamen »Professor« eingetragen hatte.
Ness ging durch die zertrümmerte Sicherheitstür von Far- naby House und eine Treppe hinauf. Six war in ihrem Zimmer, das sie mit ihren Schwestern teilte, und Natasha war zu Besuch, versuchte gerade, ihre bereits rot lackierten kurzen Fingernägel mit einer Schicht grellviolettem Glanzlack zu versehen, während Six das Karaoke-Mikrofon an die Brust gedrückt hielt und wilde Zuckungen zum Instrumentalteil einer alten Madonna- Nummer vollführte. Als Ness eintrat, setzte Six gerade wieder zum Gesang an. Sie sprang vom Bett, das ihr als Bühne gedient hatte, umtänzelte Ness im Takt der Musik, ehe sie sie packte und zu einem Zungenkuss an sich zog.
Ness stieß sie weg und fluchte in einer Ausdrucksweise, die ihr ein stattliches Bußgeld eingetragen hätte, wenn ihre Tante sie gehört hätte. Dann schnappte sie sich von einem der drei Betten ein Kissen und wischte sich am Bezug den Mund ab. Zwei Schmierspuren aus leuchtend rotem Lippenstift blieben zurück: eine auf dem Kissen, eine auf Ness' Wange.
Natasha lachte träge, während Six, die nicht einmal aus dem Takt geraten war, sich zu ihr hinüberschlängelte. Natasha empfing den Kuss willig, öffnete den Mund zur Größe einer Untertasse, um so viel Zunge aufnehmen zu können, wie Six ihr zu geben gedachte. Ness' Magen zog sich zusammen, und sie musste sich abwenden. Ihr Blick fiel auf etwas, was das enthemmte Verhalten ihrer Freundinnen erklärte: Auf der Kommode lag ein Handspiegel mit dem Glas nach oben, darauf sichtbar Spuren von weißem Pulver.
»Scheiße!«, schimpfte Ness. »Ihr habt nich' auf mich gewartet? Haste noch was übrig, Six, oder war's das?«
Six und Natasha ließen voneinander ab.
»Ich hab dir doch gesagt, du solltest gestern Abend herkommen, oder?«, entgegnete Six.
»Du weiß' genau, dass ich das nich' kann. Wenn ich nich' rech'zeitig daheim bin ... Scheiße. Scheiße. Wie hast du's gekriegt?«»Tash hat's besorgt«, antwortete Six. »Der Blowjob muss der Hammer gewesen sein.«
Die beiden Mädchen lachten verschwörerisch. Wie Ness inzwischen wusste, hatten die beiden eine Vereinbarung mit ein paar jungen Fahrradkurieren, die von einem der Großhändler in West Kilburn aus Kunden versorgten, die es vorzogen, ihre Drogen in den eigenen vier Wänden zu konsumieren, statt dafür eines der einschlägig bekannten Lokale aufzusuchen. Für ein wenig Pulver aus sechs oder sieben Beuteln, sodass es insgesamt nicht auffiel, bekamen sie einen geblasen. Natasha und Six wechselten sich mit dieser Dienstleistung ab; den jeweiligen Lohn teilten sie schwesterlich.
Ness ergriff den Spiegel, befeuchtete ihren Finger und wischte das bisschen Pulver auf, das noch übrig war. Sie verrieb es auf dem Gaumen, aber es stellte sich keine Wirkung ein. Sie spürte den harten, heißen Stein in ihrer Brust größer werden. Sie hasste es, ausgeschlossen zu sein, und genau das war sie hier - und sie würde es auch bleiben, wenn sie den Mädchen nicht bald auf ihrem Trip folgen konnte.
Sie wandte sich ihnen zu: »Haste wenigstens Gras?«
Six schüttelte den Kopf. Sie tanzte zur Karaoke-Maschine hinüber und stellte sie ab. Natasha beobachtete sie mit glühenden Augen. Sie war zwei Jahre jünger als Six und sah zu ihrer Freundin verehrungsvoll auf. Doch heute Vormittag fand Ness diese Art von Anbetung widerlich, vor allem wenn sie bedachte, welche Rolle Natasha gestern Abend gespielt hatte, um sich selbst und Six mit Stoff zu versorgen - unter Ausschluss von Ness.
Sie sagte zu Natasha: »Scheiße, weißte eigentlich, wie du aussiehs', Tash? Wie 'ne Lesbe. Willste Six zum Frühstück vernaschen oder was?«
Six verengte die Augen und ließ sich aufs Bett fallen. Sie durchwühlte einen Kleiderhaufen am Boden, fischte eine Jeans heraus und zog eine Zigarettenschachtel aus einer der Taschen. Sie steckte sich eine an und sagte: »Pass auf, was du sagst, Ness.
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