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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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hielt.
    Sie reagierten alle unterschiedlich auf Ness' unnatürliche Ruhe - je nach ihrem Verständnis der menschlichen Natur und dem Maß an Energie, das sie besaßen. Kendra belog sich selbst, indem sie sich einredete, sie gebe ihrer Nichte Zeit, das Erlebnis zu verarbeiten, während sie sich doch in Wahrheit vorzumachen versuchte, dass das Leben zur Normalität zurückkehre. Dix ging auf Sicherheitsabstand zu Ness. Er sah sich außerstande, ihr unter diesen Umständen ein Vater zu sein. Toby entwickelte eine Bedürftigkeit, sich an jeden zu klammern, der es zuließ. Joel beobachtete, wartete und wusste nicht nur, was geschehen, sondern auch, was nun zu tun war. Nur Majidah ging Ness frontal an: »Du darfst nicht zulassen, dass diese Sache deine Zukunftspläne verdüstert«, sagte sie ihr. »Was dir passiert ist, war schrecklich. Denk nicht, ich wüsste das nicht. Aber dich selbst und deine Pläne aufzugeben ... Damit schenkst du dem Bösen einen Triumph, und das ist etwas, das du niemals tun darfst, Vanessa!«
    »Mir doch egal«, gab Ness zurück. Zumindest dem äußeren Anschein nach setzte sie die Dinge fort, die sie begonnen hatte, um niemandes Verdacht zu erregen. Aber auch sie beobachtete und wartete.
    Joel brachte Toby zur Middle Row School und schwänzte selbst die Schule. Er machte sich auf die Suche nach Cal Hancock und fand den Graffitikünstler in Meanwhile Gardens, wo er geradeeinen Joint an drei Schulmädchen weiterreichte. Sie hatten die Röcke ihrer Schuluniformen hochgerollt, damit sie kürzer und ihre Trägerinnen sexier erschienen - ein fragwürdiges Unterfangen, betrachtete man den Rest ihrer Aufmachung. Sie standen auf der Wendeltreppe, und Cal saß ein Stück unterhalb von ihnen. Als er Joel entdeckte, fragte er: »Was geht, Mann?« Und zu den Mädchen sagte er: »Raucht ihn, wenn ihr wollt«, und wies auf den Joint. Sie verstanden die Botschaft und verschwanden die Treppe hinauf, während sie ihre Beute herumwandern ließen.
    »Früh zum Kiffen«, bemerkte Joel.
    Cal offerierte einen trägen Salut. »Dafür isses nie zu früh, Mann. Suchste mich oder ihn?«
    »Ich bin hier, um zu tun, was The Blade getan ha'm will«, erklärte Joel. »Neal Wyatt hat sich an meiner Schwester vergriffen, Mann. Ich will, dass er jetz' endlich auf Linie gebracht wird.«
    »Ja? Du has' das Teil, wie ich höre? Also, warum nimmste ihn dir nich' selbs' vor?«
    »Ich will ihn nich' kaltmachen, Cal«, entgegnete Joel. »Außerdem hab ich keine Kugeln für das Ding.«
    »Dann benutz es nur, um ihm 'ne Scheißangst zu machen.«
    »Dann trumpft er beim nächsten Mal wieder auf. Er und seine Meute. Geh'n auf Toby los oder auf meine Tante. Verstehste, ich will, dass The Blade diesen Typ fertigmacht. Also, wer is' die Alte, die ich überfall'n soll?«
    Cal studierte Joels Gesicht, dann kam er auf die Füße. »Haste das Ding dabei?«, fragte er.
    »In mei'm Rucksack.«
    »Okay. Dann lass uns geh'n.«
    Cal führte ihn aus dem Park und unter der Westway-Überführung hindurch. Sie passierten die U-Bahn-Station und folgten einem Zickzackkurs durch Straßen und Gassen, bis sie zum nördlichen Teil der Portobello Road gelangten, gar nicht weit von der Stelle entfernt, wo Joel die Lavalampe für Toby gekauft hatte. Doch das schien in einer fernen Vergangenheit zu liegen.
    Cal wies mit dem Finger auf einen Zeitungsladen. Er sagte: »Das is' perfektes Timing, Mann. Sie kommt jeden Tag zur gleichen Zeit her. Warte, bis ich dir sag, wer's is'.«
    Joel wusste nicht, ob das eine Lüge oder die Wahrheit war, aber es spielte auch gar keine Rolle. Er wollte nur diesen Job erledigen. Also stellte er sich zu Cal in einen Hauseingang - eine verlassene Bäckerei, deren Fenster mit Spanplatten verbrettert waren. Cal zündete sich schon wieder einen Joint an - sein Vorrat schien unerschöpflich - und reichte ihn Joel herüber. Joel nahm dieses Mal einen tieferen Zug. Dann noch einen und einen dritten. Und er hätte weitergeraucht, hätte Cal ihm den Joint nicht mit einem leisen Lachen abgeknöpft. »Mach ma' halblang, Mann. Du wills' doch noch steh'n könn'«, warnte er.
    Joel kam es vor, als habe sein Hirn sich ausgedehnt. Er fühlte sich entspannter, fähiger, weit weniger ängstlich und sogar ein wenig amüsiert über das, was in den nächsten paar Minuten irgendeiner armen, blöden Alten passieren würde. »Meinetwegen«, sagte er und durchwühlte seinen Rucksack, bis er die Pistole fand. Er steckte sie in die Anoraktasche, wo sie schwer auf

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