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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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seinem Oberschenkel ruhte und ihm ein Gefühl von Sicherheit gab.
    »Da is' sie, Bruder«, murmelte Cal.
    Joel spähte um die Ecke des Bäckereieingangs. Er sah, wie eine pakistanische Frau aus dem Zeitungsladen trat. Sie trug einen Herrenmantel und ging am Stock. Eine Ledertasche baumelte von ihrer Schulter. Wollte man Cal glauben, war sie »leicht verdientes Geld«. Er fügte hinzu: »Die guckt sich nich' ma' um, ob die Luft rein is'. Die wartet nur drauf, überfall'n zu werden. Also los. Du brauchs' nich' ma' 'ne Minute.«
    Die Frau hatte keine Chance, aber mit einem Mal war Joel nicht ganz sicher, wie er es bewerkstelligen sollte. »Kann ich ihr nich' einfach die Tasche aus der Hand reißen, statt sie zu zwingen, ihre Kohle rauszurücken?«
    »Kommt nich' infrage, Mann. The Blade will, dass du der Alten Auge in Auge gegenübertritts'.«
    »Dann warten wir und tun's, wenn es dunkel is. Wir nehm'uns irgend'ne andere Frau vor. Wenn ich an ihr vorbeirenne und mir die Tasche schnapp, sieht sie mich nich'. Aber wenn ich mich am helllichten Tag vor sie stell ...«
    »Scheiße, für die seh'n wir doch sowieso alle gleich aus, Mann. Also, jetz' mach schon! Wenn du's tun wills', dann jetz'.«
    »Aber ich seh anders aus. Ich hol mir einfach ihre Tasche, Cal. Wir könnt'n The Blade doch sagen, ich hätt ihr die Waffe vorgehalten. Woher soll er wissen ...«
    »Ich lüg The Blade nich' an. Wenn der die Wahrheit erfährt, würd's ganz düster für dich, das kannste mir glauben. Also, los jetz'. Halt ihr das Ding unter die Nase! Die Zeit läuft uns weg.«
    Das stimmte. Auf der anderen Straßenseite humpelte die Zielperson in stetigem Tempo davon und hatte die Ecke fast erreicht. Wenn sie dort abbog und aus ihrem Blickfeld verschwand, konnte es gut sein, dass Joels Chance vertan war.
    Er trat aus dem Bäckereieingang und überquerte die Straße im Laufschritt, um die hinkende Frau einzuholen. Seine Hand lag um die Waffe in seiner Tasche, und er hoffte inständig, dass er sie nicht würde hervorziehen müssen. Die Waffe machte ihm genau solche Angst, wie sie vermutlich der Frau machen würde, auf deren Geld er es abgesehen hatte.
    Er erreichte sie und packte ihren Arm. »Entschuldigung«, sagte er - jahrelange Erziehung ließ sich eben nicht von jetzt auf gleich verleugnen. Dann änderte er seinen Tonfall, machte ihn härter, als die Frau sich zu ihm umwandte. »Her mit der Kohle«, befahl er. »Los, her damit. Kreditkarten auch.«
    Das Gesicht der Frau war zerfurcht und traurig. Sie wirkte ein wenig abwesend. Sie erinnerte Joel an seine Mutter.
    »Haste nich' gehört?«, fuhr Joel sie barsch an. »Her mit der Kohle! Kohle her, Schlampe!«
    Sie tat gar nichts.
    Es blieb keine Alternative. Joel zog die Pistole heraus. »Kohle!«, sagte er. »Haste's jetz' kapiert?«
    Da fing sie an zu schreien. Zweimal, dreimal. Joel packteihre Tasche, zerrte daran. Die Frau sackte auf die Knie. Auch im Fallen schrie sie weiter.
    Joel stopfte die Waffe zurück in die Tasche und rannte los. Er dachte nicht an die Pakistani, die Verkäufer in den Geschäften, die Passanten oder an Cal Hancock. Er wusste, er musste aus der Gegend verschwinden. Er floh die Portobello Road hinab und bog um die erste Ecke, die er erreichte. Das tat er wieder und wieder, links herum und rechts herum, bis er sich schließlich auf der Westbourne Park Road wiederfand, wo der Verkehr dichter war, ein Bus gerade eine Haltestelle anfuhr und ein Streifenwagen genau auf Joel zukam.
    Joel erstarrte. Panisch sah er sich nach einem Fluchtweg um. Er übersprang die niedrige Mauer zu einer Wohnsiedlung und durchquerte einen Garten mit winterlich beschnittenen Rosen. Hinter sich hörte er jemanden brüllen: »Halt!« Zwei Autotüren wurden im kurzen Abstand zugeschlagen. Joel lief weiter. Er rannte um sein Leben, um das Leben seiner Geschwister und um seine ganze Zukunft. Aber er war nicht schnell genug.
    Er hatte das zweite Gebäude der Siedlung fast erreicht, als eine Hand sich von hinten in seinen Anorak krallte. Ein Arm schlang sich um seine Taille, warf ihn zu Boden, und dann stellte sich ein Fuß auf seinen unteren Rücken. Eine Stimme fragte: »Und was haben wir hier?«
    Die Frage sagte alles. Die Cops waren gar nicht hinter ihm her gewesen. Mit der schreienden pakistanischen Frau auf der Portobello Road hatten sie nichts zu tun. Wie denn auch? Die Polizei kümmerte sich nur um Straßenkriminalität, wenn sie die Zeit dazu fand. Wie lange hatte es gedauert, bis sie am Tatort

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