Am Ende war die Tat
fertig sind, wird sie sich dasanschau'n wollen, also musst du doch bereit sein. Dauert bestimmt nich' mehr lang.«
Toby schaute von Joel zum Caravan und wieder zurück. »Versprochen?«, fragte er.
»Ich hab dich noch nie angelogen, Mann.«
Toby trottete zu der Freifläche hinüber, schleifte das Skateboard an einer Hand hinter sich her. Joel schaute zu, bis der Kleine das Brett auf den buckligen Asphalt fallen ließ und ein paar Meter rollte, einen Fuß auf dem Board, einen auf dem Boden. Zu mehr reichte Tobys Können ohnehin noch nicht, also war es nicht so wichtig, wie der Boden unter den Rädern beschaffen war.
Joel kehrte zu ihrer Mutter zurück. Sie war in die Betrachtung der künstlichen Nägel versunken, die Serena bisher hatte ankleben können. Sie waren viel zu lang und spitz, und die Kosmetikerin versuchte zu erklären, dass sie deutlich gekürzt werden mussten, wenn sie auch nur einen einzigen Tag halten sollten. Aber Carole wollte davon nichts hören. Sie wollte sie lang, rot lackiert und mit Goldherzen verziert. Alles andere war inakzeptabel. Selbst Joel, der keine Ahnung von Plastiknägeln, Klebstoff und Nageldeko hatte, erkannte, dass das keine gute Idee war. Man konnte nicht einfach etwas auf eine kaum vorhandene Unterlage kleben und dann hoffen, dass es hielt.
»Mum, vielleicht hat Serena recht«, sagte er. »Wenn du sie ein bisschen abschneidest ...«
Carole schaute ihn an. »Misch dich nicht ein«, befahl sie.
Er fühlte sich geohrfeigt. »Tut mir leid.«
»Weiter, Serena. Kleben sie die restlichen auch noch an!«
Serena schürzte die Lippen und setzte ihre Arbeit fort. Die Wahrheit war, dass es sie im Grunde völlig kaltließ, wenn irgendeine Irre in der Klapse darauf bestand, sich irgendwo und irgendwie künstliche Nägel ankleben zu lassen. Das Ergebnis blieb immer das gleiche: Geld in Serenas Portemonnaie.
Carole sah zu und nickte zufrieden, als der zweite Satz Plastiknägel an Ort und Stelle war. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Joel und wies auf den kleinen gepolsterten Ho-cker in der Ecke. »Komm, setz dich«, lud sie ihn ein. »Erzähl: Was ist passiert, seit wir uns zuletzt gesehen haben? Warum warst du so lange nicht hier? Oh, ich freu mich so, dich zu sehen. Und vielen Dank für die Geschenke.«
»Die sind von uns allen«, erklärte Joel.
»Aber du hast sie mir mitgebracht. Du hast sie ausgesucht, Joel.«
»Schon, aber ...«
»Wusst ich's doch. Es war fast, als stünde dein Name drauf. So sensibel. So typisch für dich. Das war sehr lieb von dir, und ich wollte sagen ... Nun ja, ich fürchte, jetzt wird's ein bisschen schwierig.«
»Was?«, fragte er.
Sie schaute nach links und rechts. Dann lächelte sie. »Joel, vielen Dank, dass du dieses Mal diesen grässlichen kleinen Jungen nicht mitgebracht hast. Du weißt schon, welchen ich meine. Dein kleiner Freund mit der Triefnase. Ich will nicht grausam sein, aber ich bin froh, ihn nicht zu sehen. Er fing an, mir auf die Nerven zu gehen.«
»Du meinst Tobe?«, fragte Joel. »Mum, das war doch Toby.«
»Ist das sein Name?«, fragte Carole Campbell mit einem Lächeln. »Nun, wie auch immer, Liebling. Ich bin froh, dass du heute allein gekommen bist.«
25
Was Joel bei all seiner sorgfältigen Planung nicht berücksichtigt hatte, war die Tatsache, dass seine Geschwister und er nicht mehr zu Londons anonymer Masse von Kindern und Jugendlichen zählten, die ihrer täglichen Routine nachgingen: Schule, Sport, Hausaufgaben, Flirten, Lästern, Shoppen, Rumhängen mit einem Handy am Ohr oder auf dem Schoß, um verklärten Blickes eine SMS zu lesen, sich das Hirn mit lauter Musik aus allen möglichen elektronischen Gerätschaften rausblasen ... In einer normalen Londoner Welt wäre Joel einer unter vielen in dieser Kategorie gewesen. Doch er lebte in keiner normalen Londoner Welt. Als er also beschloss, die Stadt mit dem Zug zu verlassen, um seine Mutter zu besuchen, war es ihm nicht möglich, dies unbemerkt zu tun.
Das lag teilweise daran, dass er Toby mitgenommen hatte, dessen Fehlen in der Schule registriert und umgehend gemeldet wurde. Doch ebenso lag es daran, dass er seit seiner Stippvisite auf der Polizeiwache Harrow Road unter strengerer Beobachtung stand und ein Anruf von Fabia Bender dazu geführt hatte, dass auch sein eigenes Fernbleiben vom Unterricht auffiel. Beide Schulen riefen seine Tante an.
Als Kendra erfuhr, dass sowohl Toby als auch Joel vermisst wurden, zog sie daraus mitnichten den Schluss, Joel
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