Am Ende war die Tat
könne in irgendetwas Riskantes oder Illegales verwickelt sein. Sie wusste, der ältere ihrer Neffen hätte niemals Tobys Sicherheit aufs Spiel gesetzt. Doch ein Serienmörder hatte es auf Jungen in Joels Alter abgesehen, und da die letzten beiden Opfer in Nordlondon gefunden worden waren, kam Kendra einfach nicht umhin, in diese Richtung zu denken, genau wie sie es getan hatte, als Joel zwei Nächte lang nicht nach Hause gekommen war.
Doch zunächst tat sie, was wohl jede Frau getan hätte, dieerfuhr, dass ihre Jungen nicht waren, wo sie eigentlich sein sollten. Sie rief zu Hause an, um festzustellen, ob sie vielleicht blaumachten und sich Videos ansahen. Dann rief sie in der Kindertagesstätte an, denn so unwahrscheinlich es auch war, konnte es doch immerhin sein, dass sie dorthin gegangen waren. Sie rief im Rainbow Café an, um Dix zu fragen, ob er sie vielleicht aus irgendeinem Grund mit zur Arbeit genommen hatte. Erst dann geriet sie in Panik. Sie sperrte den Laden ab und machte sich auf die Suche. Nachdem sie schon geraume Zeit durch Straßen und Wohnsiedlungen gefahren war, kam ihr Ivan Weatherall in den Sinn, also rief sie auch ihn noch an - ohne Ergebnis. Das steigerte ihre Panik, und in diesem Zustand betrat sie das Rainbow Café .
Dix ließ sich von ihrer Besorgnis nur bedingt anstecken. Er setzte sie auf einen Stuhl, brachte ihr eine Tasse Tee, und weil er ihre Zuversicht nicht teilte, dass Joel seinen Bruder um jeden Preis aus Scherereien heraushalten würde, rief er auf der Polizeiwache Harrow Road an. Zwei Jungen würden vermisst, erklärte er dem Beamten, nachdem er in Erfahrung gebracht hatte, dass Joel nicht wieder aufgrund irgendeines Vergehens in Gewahrsam war. Und weil doch der Serienmörder ...
Der Constable am anderen Ende der Leitung fiel ihm ins Wort. Die Jungen wurden nicht einmal seit vierundzwanzig Stunden vermisst, oder? Die Polizei könne nichts tun, solange sie nicht für einen längeren Zeitraum abgängig waren.
Also rief Dix als Nächstes bei Scotland Yard an, wo die Ermittlungen in der Mordserie geleitet wurden. Aber auch dort hatte er kein Glück. Man werde von Anrufen besorgter Eltern regelrecht überflutet, deren Jungen schon viel länger vermisst würden, Sir. Scotland Yard habe keine Kapazitäten, um wegen zwei Schulschwänzern eine Suchaktion zu starten.
Dix blieb also nichts anderes übrig, als Kendras Beispiel zu folgen. Er wälzte seinen Job auf seine ohnehin abgekämpfte Mutter ab und entledigte sich seiner Kochmontur. Er müsse sich an der Suche beteiligen, erklärte er, und reichte ihr seine Schürze.
Seine Mutter sagte nichts, schaute nur zu Kendra hinüber, bemühte sich um ein ausdrucksloses Gesicht und verfluchte den Tag, da ihr Sohn in die Fänge dieser Frau geraten war, mit der er niemals eine konventionelle Zukunft würde aufbauen können. Dann band sie sich seine riesige Schürze um. »Geh«, sagte sie zu ihm.
Dix war es, der auf die Klinik kam, wo Carole Campbell untergebracht war. Ob die Jungen dorthin gefahren waren?
Kendra konnte sich nicht vorstellen, wie. Sie hatten doch kein Geld für den Bus und die Bahnfahrkarten. Trotzdem rief sie dort an, und so kam es, dass Dix D'Court an der Paddington Station wartete, als Toby und Joel einige Stunden später aus dem Zug stiegen.
Er hatte jeden einfahrenden Zug kontrolliert. Er hatte sein Training ausfallen lassen. Als die Jungen endlich auftauchten, hatte er einen gewaltigen Kohldampf, war aber nicht willens, seinen Körper mit irgendetwas von dem Zeug zu vergiften, das im Bahnhof zu bekommen war. Er war angespannt und wütend. Entgegen aller guten Vorsätze war er kurz davor, in Rage zu geraten.
Als Joel Dix auf der anderen Seite der Absperrung entdeckte, wusste er sofort, dass dieser auf hundertachtzig war. Er steckte in Schwierigkeiten, aber das war ihm gleich. Dass Dix D'Court sauer auf ihn war, war nur eine klitzekleine Sorge, gemessen an dem Trümmerhaufen, zu dem sein Leben geworden war.
Toby trippelte hinter ihm her und war in eine Unterhaltung mit dem Abziehbild einer Spinne vertieft, das ein früherer Besitzer auf seinem Skateboard angebracht hatte. Er sah Dix nicht, bis der genau vor ihnen stand und Joel rief: »Hey! Lass mein' Arm los, Mann!«
Da erst schaute Toby auf. »Hallo, Dix. Mum wollte Fingernägel. Ich hab 'ne Tüte Chips bekomm'. Überall sah's aus, als hätt's geschneit, aber es hat gar nich' geschneit.«
Dix zerrte Joel aus dem Bahnhofsgebäude. Toby folgte. Joel protestierte. Dix
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