Am Ende war die Tat
ähnlicher«, sagte sie. Die Bemerkung war eigenartig, denn sie alle wussten, dass das ganz und gar nicht stimmte. Dann fügte sie erklärend hinzu: »Etwas in deinen Augen. Was macht die Schule? Hast du mir deine Hefte mitgebracht?«
Joel atmete hörbar aus. Die Erwähnung seines Vaters machte ihn nervös, aber er schob das Gefühl beiseite. »Vergessen«, gestand er. »Aber das hier haben wir dir mitgebracht.« Er reichte ihr die W.-H.-Smith-Tüte.
»Ich liebe Harpers«, sagte Carole. »Und was ist das hier? Oh, sind das Bonbons? Wie herrlich! Danke, Joel.«
»Ich mach sie dir auf.« Joel nahm die Schachtel, pellte die Plastikfolie ab und warf sie in einen Schwingdeckeleimer, wo sie an feuchtem, abgeschnittenem Haar kleben blieb. Er klappte die Schachtel auf und gab sie seiner Mutter zurück.
Schelmisch sagte sie: »Komm, wir nehmen jeder eins.«
»Sie sind aber nur für dich«, widersprach Joel. Er wusste, dass man bei Toby mit Süßigkeiten Vorsicht walten lassen musste. Wenn man ihm etwas anbot, konnte es passieren, dass er die ganze Schachtel leer aß.
»Darf ich auch eins?«, fragte Toby wie aufs Stichwort.
»Nur für mich?«, wiederholte Carole. »Aber ich kann die doch nicht alle essen, Liebling. Nimm eins, komm schon. Nein? Will niemand ...? Sie auch nicht, Serena?«
»Mum ...«, hob Toby an.
»Na schön. Wir stellen sie erst mal beiseite. Gefallen dir meine Herzchen?« Sie wies mit dem Kinn auf den Pappbogen, der den Nagelschmuck enthielt. »Kitschig, ich weiß, aber weil wir doch eine kleine Valentinstagsfeier machen ... Ich wollte etwas Festliches. Februar ist so eine trübe Jahreszeit. Man fragt sich, ob die Sonne überhaupt noch mal zum Vorschein kommt. Obwohl, der April kann auch schrecklich sein, aber dann ist es der Regen, nicht dieser grässliche ewige Nebel!«
»Mum, ich will eins! Warum darf ich keins? Joel ...«
»Ich will nichts verpassen, was uns um diese Zeit im Jahr aufheitern kann«, fuhr Carole fort. »Ich frag mich nur immer, warum der Februar einem so lang vorkommt. Er ist doch der kürzeste Monat im Jahr, sogar in den Schaltjahren. Aber er nimmt einfach kein Ende. Oder vielleicht ist es ja auch einfach so, dass ich in Wahrheit will, dass er lange dauert? Und alle Monate vorher sollen auch ewig lang andauern. Damit der Jahrestag niemals näher kommt. Der Todestag deines Vaters, weißt du. Ich will diesem Jahrestag nicht noch mal ins Auge schauen.«
»Joel!« Toby hatte Joel am Arm gepackt. »Warum gibt Mum mir nichts ab?«
»Schsch«, machte Joel. »Ich besorg dir später eins. Hier is' irgendwo ein Automat, und da zieh ich dir Schokolade.«
»Aber Joel, sie will nich' ...«
»Warte, Tobe.«
»Aber Joel, ich will ...«
»Jetzt warte doch.« Joel befreite seinen Arm aus Tobys Griff. »Warum gehst du nicht mit deinem Skateboard ein bisschen nach draußen? Du kannst auf dem Parkplatz fahren.«
»Da isses kalt.«
»Wir trinken einen Kakao, wenn du zurückkommst, und wenn Mum mit ihren Nägeln fertig is', kannste ihr zeigen, wie super du fahren kannst, okay?«
»Aber ich will ...«
Joel packte Tobys Schultern, drehte ihn um und schob ihn zur Tür. Ihm graute davor, dass irgendetwas Carole aus der Fassung bringen und zu einem Anfall führen könnte, und Toby wurde mit jeder Sekunde mehr zu einem menschlichen Zünder.
Joel öffnete die Tür und führte seinen Bruder die Stufen hinab. Er schaute sich um und entdeckte ein freies Stück Asphalt auf dem Parkplatz, wo Toby gefahrlos fahren konnte. Er vergewisserte sich, dass der Anorak seines Bruders geschlossen war, und zog ihm die Mütze tiefer in die Stirn. »Bleib hier, Tobe, und später besorg ich dir was Süßes. Und heißen Kakao«, versprach Joel. »Ich hab genug Geld. Du weißt doch, dass Mum nicht ganz richtig ist hier oben.« Er tippte sich an die Stirn. »Ich hab ihr die Pralinen mitgebracht, und sie hat's total falsch verstanden, als ich gesagt hab, ich will nix. Wahrscheinlich hat sie gedacht, du willst auch nix.«
»Aber ich hab doch die ganze Zeit gesagt ...« Toby sah so trostlos aus wie der Tag, trostloser als der Parkplatz, dessen unebene Oberfläche vollkommen ungeeignet zum Skateboardfahren war. Er schniefte vernehmlich und wischte sich mit dem Anorakärmel über die Nase. »Ich will nich' Skateboard fahren«, verkündete er. »Is' doch total blöd hier.«
Joel legte einen Arm um seinen Bruder. »Aber du willst es Mum doch vorführ'n! Sie soll doch sehen, wie gut du's schon kanns'! Sobald ihre Nägel
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