Am Ende war die Tat
schwieg. Toby suchte Halt an Joels Arm. Er musste sich an etwas Massivem festhalten.
Auf dem Parkplatz verfrachtete Dix die Jungen auf die Rückbank seines Wagens. Im Rückspiegel sah er Joel an und fragte: »Hast du eigentlich 'ne Ahnung, in welchen Zustand du deine Tante versetzt has'? Was denkste eigentlich, wie viel sie sich von dir noch gefall'n lässt?«
Joel wandte den Kopf ab und starrte aus dem Fenster. Er hatte alle Hoffnung verloren und war nicht in der Verfassung, sich Vorwürfe anzuhören. Tonlos formte er die Worte: »Fick dich.«
Dix las es von seinen Lippen. Es wirkte wie ein Funke im Zunder. Dix sprang wieder aus dem Wagen, riss die hintere Tür auf und zog Joel nach draußen. Dann stieß er ihn gegen den Kotflügel und schnauzte: »Willste dich mit mir anlegen? Willste das wirklich?«
»Ach, lass mich in Ruhe.«
»Was glaubste, wie lang du gegen mich durchhälts'?«
»Lass mich in Ruh, verdammte Scheiße«, sagte Joel. »Ich hab nix gemacht.«
»Nein? Deine Tante ist durch die Gegend gefahren, um dich zu suchen, hat die Bullen angerufen, aber da hat man ihr nur gesagt, man kann ihr nich' helfen, und sie is' in Panik geraten ... Aber du has' nix gemacht, ja?« Mit einer wütenden Geste stieß er Joel zurück in den Wagen.
Die Fahrt nach North Kensington dauerte nicht lange. Sie schwiegen sich an. Dix war unfähig zu erkennen, was sich hinter Joels äußerlicher Feindseligkeit verbarg, ebenso wie Joel unfähig war, Dix' Reaktion zu durchschauen und zu begreifen, was ihr zugrunde lag.
Am Edenham Way eilte Joel die Stufen zum Haus seiner Tante hinauf. Toby folgte ihm hastig. Er drückte das Skateboard an seine Brust wie einen Rettungsring. Als Dix es ihm in der Diele aus den Fingern riss und beiseitewarf, fing der kleine Junge an zu weinen.
Das war zu viel für Joel. »Lass Toby in Frieden, Mann!«, brüllte er. »Wenn du was loswerden wills', dann komm zu mir, kapiert?«
Ehe Dix etwas darauf erwidern konnte, kam Kendra aus der Küche. Also stieß er den Jungen lediglich in ihre Richtung und sagte: »Hier isser. Und er is' jetzt ein richtiger Mann, wenn man ihn so reden hört. Er is' der Grund für all den Wirbel, aber ihm isses völlig egal, dass er andere Leute in Sorge versetzt.«
»Halt's Maul«, sagte Joel, und es klang ebenso erschöpft wie verzweifelt.
Dix machte einen Schritt auf ihn zu.
»Nicht«, ging Kendra dazwischen. Und an Joel gewandt: »Was war los? Warum bist du zu ihr gefahren, ohne es mir zu sagen? Weißt du, dass deine Schule angerufen hat? Und Tobys auch?«
»Ich wollte meine Mutter besuchen«, erwiderte Joel. »Ich kapier nich', was das ganze Theater soll.«
»Wir haben Regeln. Schule. Toby. Nach Hause kommen.« Kendra zählte sie an ihren Fingern ab. »Das sind deine Grenzen. Das hab ich dir doch gesagt. Und die Klinik liegt nicht innerhalb dieser Grenzen.«
»Mir doch egal«, gab Joel zurück.
»Und woher hattest du überhaupt das Geld für die Fahrkarten?«
»Das war meins.«
»Woher, Joel?«
»Es war meins, und wenn du mir nich' glaubst ...«
»Nein, ich glaub dir nicht. Gib mir einen Grund, dir zu vertrauen.«
»Scheiße, das muss ich überhaupt nich'.«
»Joel ...«, jammerte Toby. Er verstand gar nichts mehr. Eben noch hatten sie im Zug gesessen und eine Landschaft betrachtet, die gefrierender Nebel in Geheimnisse hüllte, und im nächsten Moment steckten sie plötzlich in Schwierigkeiten - in so schlimmen Schwierigkeiten, dass Joel fluchte, Dix wütend war und auf ihn losgehen wollte und Kendras Gesicht zu einer Maske erstarrt war. Die Bürde all dessen war zu schwer, als dass sein Verstand sie hätte tragen können. »Mum wollte Herz-chen auf ihren Fingernägeln, Tante Ken«, erzählte er. »Stimmt's nich', Joel? Goldherzchen.«
»Also schön«, sagte Kendra matt und ignorierte Tobys fruchtlose Bemühungen, der Unterhaltung eine andere Richtung zu geben. »Dann will ich mich mal gründlich umsehen«, sagte sie und ging die Treppe hinauf.
Joel ging ihr nach. Toby folgte, und Dix bildete die Nachhut.
Es war offensichtlich, was Kendra im Schilde führte. Joel protestierte nicht. Tatsächlich stellte er fest, dass es ihm ziemlich egal war. In seinem Zimmer gab es nichts für sie zu entdecken, weil er ihr die Wahrheit gesagt hatte. Die Pistole, die The Blade ihm gegeben hatte, würde sie nicht finden. Sie lag in dem Hohlraum zwischen dem Fußboden und der unteren Schublade der Kommode. Man musste den ganzen Schrank kippen, um dort heranzukommen, und
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