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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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war ja noch ein Baby, aber ihn hat sie sich ausgesucht. Wie eine Hündin, die einen Welpen nicht säugt, weil sie weiß, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt. Ihr Instinkt sagt ihr das.«
    »Sie wollen sagen, es liegt tatsächlich eine Vererbung vor?«
    »Es ist die alte Frage: Sind die Gene schuld oder das soziale Umfeld? Die Neigung ist jedenfalls erblich. Sehen Sie: Es handelt sich hierbei um eine Fehlfunktion des Gehirns. Die Proteine tun nicht das, was sie sollen. Eine genetische Mutation, die die betroffene Person für eine Psychose empfänglich macht. Das Umfeld der Person erledigt den Rest.«
    Fabia dachte an Toby, was sie gesehen und gehört hatte, wie die Familie versuchte, ihn abzuschirmen, sich von Anfang an bemüht hatte zu verhindern, dass er untersucht und vielleicht eine Erkrankung bei ihm diagnostiziert wurde, die der relativen Normalität seines Lebens ein Ende setzen würde. »Es ist eindeutig, dass mit dem Jüngsten etwas nicht stimmt. Das ist offensichtlich.«
    »Sie müssen alle untersucht werden. Eigentlich müsste für jeden von ihnen ein genetisches Profil erstellt werden. Was ich meine, ist ... Es könnte völliger Blödsinn sein, Ness in eine Gruppentherapie zu stecken, wenn sie auf eine Psychose zusteuert ...«
    »... oder bereits psychotisch ist«, warf Fabia ein.
    »... oder bereits psychotisch ist«, bestätigte Ruma. »Dann müssen wir das in Angriff nehmen, ehe es zu einem weiteren Vorfall kommt.«
    Fabia gab ihr recht. Aber sie fragte sich, was Ness - die in den Therapiesitzungen schon jetzt verschlossen und unkooperativ war - davon halten würde, sich psychiatrischen Tests zu unterziehen. Nicht viel, vermutete sie.
    Also war es erforderlich, beim Richter vorzusprechen. Was Fabia und Ruma mit gutem Zureden nicht erreichen konnten, mochte eine richterliche Anordnung bewerkstelligen, wenn
    Ness sich vor die Wahl gestellt fand, zu kooperieren oder in Jugendhaft zu wandern. Die Drohung, ihr zusätzliche Sozialstunden aufzubrummen, würde sie kaum beeindrucken.
    »Lassen Sie mich mit ein paar Leuten reden«, sagte Fabia.
    Ivan Weatherall war kein Dummkopf, und nach Kendras Anruf hatte er einige Stückchen des Puzzles, das Joel Campbell für ihn darstellte, zusammengesetzt. Die meisten dieser Stückchen hatten mit Joels Talent und Führt Worte statt Waffen zu tun, einige aber auch mit dem versuchten Straßenraub auf der Portobello Road. Der sah dem Jungen so unähnlich, dass Ivan längst zu dem Schluss gekommen war, es müsse sich um eine Verwechslung handeln. Im Zusammenhang mit Joels rascher Entlassung aus dem Polizeigewahrsam betrachtet, schien das die einzig mögliche Erklärung.
    Doch Kendras Anruf hatte ihn gezwungen, sich einzugestehen, dass es einen Joel gab, den er nicht kannte. Jede Medaille hatte bekanntlich zwei Seiten - ein grässliches Klischee, das Ivan in diesem Fall aber hervorragend zu passen schien -, und so war es nur naheliegend, dass Joel einen Teil seiner Persönlichkeit vor Ivan verborgen gehalten hatte. Die Fakten, die er nun kannte, sprachen jedenfalls dafür.
    Ivan wusste nichts von Joels Kontakt zu The Blade. Soweit es die weniger umgänglichen Bevölkerungsteile von North Kensington betraf, wusste Ivan nur von Joels Reibereien mit Neal Wyatt, den er fälschlicherweise für gefährdet, aber nicht für gefährlich hielt. Ivan merkte zwar sehr wohl, dass irgendetwas in Joel brodelte, aber er glaubte, der Ursprung seines Problems liege zu Hause, nicht auf der Straße.
    Ivan wusste, dass der Freund der Tante bei ihnen eingezogen war. Der Vater war tot, die Mutter fort. Die Schwester war zu einer Jugendstrafe verurteilt worden. Der kleine Bruder war ... nun ja ... reichlich eigenartig. Ein neues Zuhause, eine neue Schule und neue Freunde waren für jeden schwer zu verkraften. War es da ein Wunder, dass Joel manchmal nicht mehr mit den Dingen fertig wurde? Nach Ivans Dafürhalten war Joel einwirklich guter Junge. Also musste es doch ohne Weiteres möglich sein, ein wie auch immer geartetes kriminelles Potenzial im Keim zu ersticken - vorausgesetzt, die Erwachsenen in seinem Leben verfolgten eine gemeinsame Linie.
    Ivan selbst war unter der liebevollen, aber strengen Aufsicht seiner Eltern aufgewachsen. Vielleicht brauchte auch Joel Strenge? Strenge, Fairness und Aufrichtigkeit.
    Er beschloss, Joel zu Hause zu besuchen. Den Jungen in situ zu erleben, wie Ivan es in Gedanken ausdrückte, würde sicher neue Erkenntnisse zutage fördern, die letztlich dazu beitragen

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