Am Ende war die Tat
bekiffte Typ, der Wache stand, während The Blade es mit Arissa trieb. Das hier war der Mann, den man kennenlernte, wenn man sich etwas zuschulden kommen ließ. Zweifellos hatte auch Cal ganz schön was zu hören gekriegt nach dem Fiasko mit der Pakistani auf der Portobello Road. »Dieses Mal macht er keinen Fehler, oder du bis' fällig, Calvin«, hatte The Blade wahrscheinlich gesagt.
»Wieso bis' du immer noch bei ihm, Mann?«
Cal antwortete nicht. Er führte ihn lediglich die Tunnel entlang zum überfüllten Bahnsteig, wo Pendler und Shopper und Schulkinder auf dem Heimweg dicht gedrängt standen.
Joel hatte keine Ahnung, in welche Richtung sie fuhren, als sie schließlich den Zug bestiegen. Er hatte weder auf die Schilder am Zugang des Bahnsteigs geachtet noch auf die Station, die vorn am Zug stand, als der in den Bahnhof gerauscht kam, Fahrgäste ausspuckte und neue aufnahm.
Sie setzten sich gegenüber einer sehr jungen Mutter mit einem Baby im Kinderwagen und einem Kleinkind, das eine der Haltestangen hinaufzuklettern versuchte. Das Mädchen sah nicht älter aus als Ness, ihr Gesicht wirkte dumpf und ausdruckslos. Sie war wieder schwanger. Joel sagte zu Cal: »Du bist nich' wie er, Mann. Du könntest doch tun, was du willst, oder?«
»Halt's Maul.«
Joel sah dem Kleinkind einen Moment beim Klettern zu. Der Zug fuhr ruckartig an, der Kleine fiel, fing an zu schreien, aberseine Mutter ignorierte ihn. Joel ließ nicht locker. »Scheiße, Mann. Ich kann dich echt nich' versteh'n. Wenn das hier in die Hose geht, was immer es is', dann ha'm sie uns beide dran. Das musste doch wissen. Also, warum haste nie zu diesem Arschloch Stanley Hynds gesagt, er soll seine Drecksarbeit selber machen?«
»Weißte nich', was >Halt's Maul< bedeutet? Biste blöd oder
so?«
»Du bist doch 'n Künstler! Du könntest was Besseres aus dir machen als das hier. Du könntest das ernsthaft machen und sogar ...«
»Halt's Maul, verfluchte Scheiße!«
Der kleine Junge sah sie mit großen Augen an. Die junge Mutter warf ihnen einen kurzen Blick zu. In ihrem Gesicht lag eine Mischung aus Langeweile und Verzweiflung. Mutter und Sohn waren wie eine Versinnbildlichung dessen, was es heißt, mit den Konsequenzen seiner Taten zu leben, mit den falschen Entscheidungen, die man dickköpfig wieder und wieder trifft.
Cal sagte mit gesenkter, aber scharfer Stimme zu Joel: »Ich hab dich gewarnt, klar? Was du hattest, haste weggeschmissen.«
Dann gab irgendetwas in Cal nach, trotz der Unerbittlichkeit seiner Worte. Joel konnte das sehen. Daran, wie die Wangenmuskeln in Cals Gesicht sich bewegten, so als kaue er auf weiteren Worten, die er zurückhalten wollte. In diesem Moment hätte Joel schwören können, er sei versucht, Cal der Graffitikünstler zu sein, der er wirklich war, fürchtete sich aber zu sehr.
Joel ahnte, dass er und Cal in gewisser Hinsicht Leidensgenossen waren, und das gab ihm ein wenig Trost, während sie ihrem unbekannten Ziel entgegenrumpelten, Fahrgäste ein- und ausstiegen, wenn der Zug in einem Bahnhof hielt, und Joel darauf wartete, dass Cal aufstand und zur Tür ging. Oder ihm ein Zeichen gab, dass diese oder jene Person, die einstieg, Joels Opfer war. Im Zug sollte der Überfall nicht stattfinden, dessen war Joel jetzt sicher, aber er konnte seinem Opfer nach dem
Aussteigen ja in einiger Entfernung auf dem kurzen oder langen Fußweg nach Hause folgen.
Er versuchte zu erraten, wer es sein würde: der Typ mit dem Turban und den Lacklederschuhen, dessen orangefarbener Bart mit den grauen Ansätzen es schwierig machte, ihn nicht anzugaffen? Das Goth-Pärchen mit den vielen Piercings im Gesicht, das an der High Street Kensington eingestiegen war, sich hingesetzt und augenblicklich begonnen hatte zu knutschen? Die alte Dame in dem verschlissenen rosa Mantel, die ihre geschwollenen Füße aus den abgewetzten Schuhen befreite? Andere fielen Joel ins Auge, und er fragte sich: Er? Sie? Hier? Wo?
Als der Zug das nächste Mal abbremste, stand Cal endlich auf. Er packte die Haltestange, die unter der Decke des Waggons entlanglief, und entschuldigte sich höflich, während er sich zur Tür vorarbeitete. Joel folgte ihm.
Der Bahnsteig sah aus wie alle anderen in der Londoner U-Bahn auch. Die großen Werbeplakate für Filme, Ausstellungen oder Ferien am Strand waren die gleichen wie überall. Am anderen Ende des Bahnsteigs führte eine Treppe zum Ausgang, und auf dem Weg dorthin hingen entlang der Decke Londons allgegenwärtige
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