Am Ende war die Tat
der einzig verfügbare Mann, der über Tobys Sicherheit wachen und Ness aus ihren Schwierigkeiten herausholen konnte. Dass dieses letzte Ziel unerreichbar war, gestand Joel sich nicht ein.
»Sie hat versucht, ihn umzubring'«, berichtete Hibah ihm entrüstet, als sie sich unweit des Trellick Tower über den Weg liefen. »Ich hab's mit eigenen Augen geseh'n. Die Alte von der Kindertagesstätte war auch da. Und ungefähr zwanzig Kinder. Hätt sie ein größeres Messer gehabt, hätte sie ihn umgebracht. Die is' total durchgeknallt. Aber die wird sich noch umgucken. Jetz' isse weggesperrt. Ich hoffe, die schmeißen den Schlüssel weg.«
Der Umstand, dass Ness tatsächlich eingesperrt war, barg die einzige Hoffnung. Eingesperrt zu sein, bedeutete Polizei, Polizei bedeutete Harrow Road, und Harrow Road hieß, dass es immer noch eine Chance gab zu verhindern, was Ness' unvermeidliche Zukunft zu sein schien. Es gab ein letztes Mittel, Ness aus dem Sumpf zu ziehen, und Joel hatte Zugang zu diesem Mittel.
Er sah den Weg, den er einschlagen musste, klar vor sich, und dieser Weg endete damit, dass er mit Haut und Haar The Blades Mann wurde. Kein vorübergehendes Arrangement, um sich einen Gefallen zu verdienen, sondern das ganze Programm: Er musste sich The Blade vollständig unterwerfen, sodass kein Zweifel daran blieb, wo Joel Campbells Loyalität lag. Das hieß, er musste warten, bis er seinen Marschbefehl bekam, und das fiel ihm nicht leicht.
Der Tag war gekommen, als Joel die Holland Park School verließ und Cal Hancock am Rande von Airlie Gardens auf dem Weg zur Bushaltestelle entdeckte. Cal stand an den Sitz eines pechschwarzen Triumph-Motorrads gelehnt, und einen Moment lang glaubte Joel, es gehöre ihm. Cal hatte sich gegen die Februarkälte dick eingemummt - von Kopf bis Fuß so schwarz wie die Triumph, von der Strickmütze über die Daunenjacke,die bis obenhin zugeknöpft war, bis hin zu Handschuhen, Jeans und Stiefel mit dicker Kreppsohle. Sein Ausdruck war finster, weder von Haschisch noch sonst irgendetwas aufgeheitert. Das zusammen mit seiner Ganzkörpermaskierung signalisierte Joel, dass der Moment gekommen war.
»Geh'n wir«, sagte Cal, nicht: »Es wird Zeit«, und auch nicht: »Haste die Pistole dabei?« Joel war befohlen worden, die Waffe immer bei sich zu tragen, und trotz des Risikos hatte er gehorcht.
»Erst muss ich Toby von der Schule abholen, Cal«, entgegnete Joel automatisch.
»Vergiss es. Komm mit.«
»Aber er kann nich' allein nach Hause geh'n, Mann.«
»Das is' nich' mein Problem, und deins ganz sicher auch nich'. Er kann ja warten, oder? Es dauert nich' lang.«
»Okay«, antwortete Joel und bemühte sich, gelassen zu klingen. Doch er spürte die Angst auf den Handflächen, als hätte jemand Eissplitter hineingestreut.
»Zeig ma' die Pistole«, sagte Cal jetzt, und Joel stellte seinen Rucksack auf den Bürgersteig. Er schaute sich um, um sicherzugehen, dass niemand sie beobachtete. Dann öffnete er die Schnallen, wühlte am Boden der Tasche und förderte schließlich die Waffe zutage, die in ein Handtuch gewickelt war. Er reichte Cal das Paket. Cal wickelte es aus, überprüfte die Waffe und steckte sie dann in die Jackentasche. Er ließ das Handtuch zu Boden fallen und sagte: »Geh'n wir.« Er machte sich in Richtung Holland Park Avenue auf den Weg.
Joel fragte: »Wohin?«
Cal antwortete über die Schulter: »Darüber brauchst du dir nich' den Kopf zu zerbrechen.«
Sie gingen die Straße entlang, und als sie die Holland Park Avenue erreichten, wandten sie sich nach Osten in Richtung Portobello Road, doch als sie die Ecke erreichten, wo sie hätten abbiegen müssen, ging Cal weiter geradeaus. Am U-Bahnhof Notting Hill ging Cal voraus die Treppe hinab und durch den Tunnel zu den Ticketautomaten. Er zog zwei Fahrscheine. Hin-und Rückfahrt. Ohne Joel eines Blickes zu würdigen, ging Cal zu den Drehkreuzen, die zu den Bahnsteigen führten.
»Hey, Mann«, sagte Joel. »Warte mal.« Und als Cal nicht reagierte, sondern einfach weiterging, holte Joel auf und fügte unwirsch hinzu: »Ich mach nix in der U-Bahn, kommt nich' infrage.«
»Du tust, was dir gesagt wird, Bruder«, entgegnete Cal, steckte eine Fahrkarte in den Schlitz und stieß Joel durch das Drehkreuz, ehe er selbst folgte. Hätte er diesen Schluss nicht bereits gezogen, wäre Joel spätestens in diesem Moment klar geworden, dass er es mit einem Cal Hancock zu tun hatte, den er nicht kannte. Das hier war nicht der lässige,
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