Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
... wenn sie aussahen wie zwei Typen, die hier etwas zu tun hatten ... wenn sie wie Touristen wirkten - so lächerlich die Vorstellung auch war - oder wie Drogendealer, die hier das Geschäft ihres Lebens abwickeln wollten ... oder ausländische Studenten ... oder was auch immer ...
    Doch das änderte nichts daran, dass das Au-pair-Mädchenmit dem Abflussstampfer sie gesehen hatte. Sie hing längst am Telefon, ging Joel auf, und selbst mit bebenden Händen hatte sie die 999 bereits getippt, um die Polizei zu rufen. Bestimmt hatte sie die Adresse in den Hörer geschrien. Sie hatte die Lage erklärt, und die Cops waren schon auf dem Weg. Das hier war eine feine Gegend, wo die Cops sofort herbeirauschten, wenn irgendetwas passierte.
    Also, wo waren sie?, fragte sich Joel. Wo waren sie?
    Schmiedeeiserne Balkone schienen allgegenwärtig über ihm zu lauern. Keine verrosteten Fahrräder standen darauf, keine verkohlten Möbelstücke, die man nach draußen bugsiert hatte, damit sie bei Wind und Wetter allmählich verrotteten. Keine schlaffen Leinen mit gräulichen Wäschestücken daran. Nur Winterblumen. Pflanzkübel mit Büschen, die in Form geschnitten waren. Dicke, feine Vorhänge an hohen Fenstern. Und diese Schornsteine, die wie Soldaten in Reih und Glied auf den Dächern standen, ihre Formen deutlich vor dem grauen Himmel: Ballons und Schilde, Zylinder und Drachen. Wer hätte gedacht, dass es irgendwo so viele Schornsteine gab?
    Cal war an einer Straßenecke stehen geblieben. Er schaute nach rechts und links, um festzustellen, wo sie sich befanden und welchen Weg sie einschlagen sollten. Gegenüber erhob sich ein Gebäude, das ganz anders war als diejenigen, die sie bisher gesehen hatten: grauer Stahl und Beton, unterbrochen von Glas. Es hatte mehr Ähnlichkeit mit dem, was sie aus ihrer eigenen Gegend gewohnt waren, doch es wirkte neuer, frischer und sauberer.
    Als Joel zu Cal trat, war ihm klar, dass es hier keine Sicherheit gab. Menschen mit Einkaufstüten kamen aus Geschäften, in denen es Mäntel mit Pelzkragen, Satinbettwäsche, Parfüm und kunstvoll geformte Seifenstücke zu kaufen gab. Vor einem Lebensmittelladen waren Orangen in der Auslage arrangiert, einzeln in Nestern aus grüner Folie, und ein Blumenhändler in der Nähe bot Sträuße in jeder nur denkbaren Farbe feil.
    Es war nobel. Es sah nach Geld aus. Joel wollte in die entgegengesetzte Richtung davonlaufen. Doch Cal hielt schon wieder an und blickte ins Schaufenster einer Bäckerei. Er rückte seine Mütze zurecht, zog sie tief ins Gesicht und schlug den Kragen seiner Jacke hoch.
    Zwei weitere Einsatzfahrzeuge heulten irgendwo in der Nähe vorbei. Ein dicker weißer Mann kam mit einer Kuchenschachtel in der Hand aus der Bäckerei. »Was ist denn passiert?«, fragte er.
    Cal wandte sich an Joel. »Komm, wir geh'n nachsehen«, sagte er und trat mit einem höflichen »Entschuldigung« an dem Mann vorbei.
    Joel zweifelte an Cals Verstand. Er führte ihn jetzt geradewegs auf die Sirenen zu. »Das könn' wir nich'. Das geht nich'. Cal, wir müssen ...«
    »Mann, uns bleibt nix anderes übrig, falls du kein' besseren Weg weißt.« Er nickte in die Richtung, aus der der Lärm kam. »Da geht's zur U-Bahn, und wir müssen hier abhau'n, kapiert? Sei ganz cool! Mach ein neugieriges Gesicht wie alle andern!«
    Joel schaute unwillkürlich in die Richtung, die Cal ihm gewiesen hatte. Cal hatte recht: In der Ferne erahnte er die nackte Frau, die Wasser ins Becken goss, nur jetzt sah er sie aus einem anderen Winkel. Sie gingen auf den Platz zu, wo sie aus der U-Bahn gekommen waren. Ein Fußweg von höchstens fünf Minuten trennte sie von dem rettenden Verkehrsmittel, das sie aus dieser Gegend schaffen würde.
    Er atmete ein paar Mal tief durch. Er musste aussehen wie jemand, den das ganze Getöse neugierig machte. »Okay. Geh'n wir.«
    »Sei einfach ganz cool«, lautete Cals Antwort.
    Sie gingen in normalem Tempo. Als sie die Straßenecke erreichten, erhob sich schon wieder eine Sirene, und ein Streifenwagen raste vorüber. Sie erreichten den Platz. Hunderte von Menschen schienen auf dem umlaufenden Gehweg zu stehen. Sie waren aus den Cafés gekommen, zauderten an den Türen von Banken, Buchhandlungen und Kaufhäusern. Sie standen so starr wie die Bronzefrau im Brunnen: Venus, die zärtlich aufdas lebensspendende Nass hinabblickte, das sie auf immerdar aus ihrem Krug fließen ließ.
    Ein Löschwagen kam auf den Platz gefahren. Ein weiterer Streifenwagen folgte.

Weitere Kostenlose Bücher