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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Überall Stimmengewirr. Eine Bombe? Terroranschlag? Krawall? Banküberfall? Eine Demonstration, die außer Kontrolle geraten war?
    Joel hörte all dies, während er und Cal sich durch die Menge schlängelten. Niemand sprach von Mord, von Straßenkriminalität, von einem schiefgegangenen Raubüberfall. Niemand.
    Als sie die Platzmitte erreichten und diagonal auf den Eingang der U-Bahn zuhielten, kam von Süden ein Krankenwagen angerast, mit heulendem Martinshorn und blinkendem Warnlicht. Dieser Krankenwagen gab Joel Hoffnung. Ein Krankenwagen hieß, dass Cal die Frau nicht getötet hatte. Sie lebte.
    Joel hoffte nur, dass sie sich nicht gar zu schlimm am Kopf verletzt hatte, als sie im Fallen gegen das Eisengitter gestürzt war.
    27
    Das Schlimmste war Toby, und das war das Letzte, womit Joel gerechnet hätte. Als er endlich zur Middle Row School kam, um ihn abzuholen, fand er ihn zusammengekauert in der frühen Winterdunkelheit vor dem verschlossenen Schultor. Irgendwie war er der Aufmerksamkeit der Lehrer und Schulverwaltung entgangen und verbarg sich im Schatten eines alten roten Briefkastens. Er stierte auf einen Riss im Gehweg und hatte sein Skateboard an die Brust gedrückt.
    Joel hockte sich vor seinen Bruder. »Hey, Mann. Tut mir leid, Tobe. Ich hab dich nich' vergessen oder so. Haste gedacht, ich hätt's vergessen? Tobe? Hey, Tobe?«
    Toby schaute auf. »Ich sollte heut ins Lernzentrum«, murmelte er.
    »Tobe, es tut mir leid«, wiederholte Joel. »Ich hatte was zu erledigen ... Hör mal, es is' wichtig, dass du mich nich' verpfeifst. Es kommt nich' wieder vor, ich schwör's.«
    Toby sah ihn abwesend an. »Ich hab gewartet, wie ich sollte, Joel. Ich wusste nich', was ich sonst machen sollte.«
    »Du hast es genau richtig gemacht, Mann. Hier zu warten. Jetz' komm. Geh'n wir. Wenn ich dich das nächste Mal zum Lernzentrum bring, red ich mit denen. Ich werd denen erklär'n, was los war. Dann sind die nich' böse mit dir, okay?«
    Joel zog seinen kleinen Bruder auf die Füße, und sie machten sich auf den Heimweg. Joel sagte: »Tobe, du darfst Tante Ken nix davon sagen. Haste gehört? Wenn sie rauskriegt, dass ich dich nich' zum Lernzentrum gebracht hab ... Sie hat schon genug am Hals. Mit Ness. Und weil Dix nich' mehr da is'. Und dann noch diese Fabia Bender, die nur auf 'nen Grund wartet, um dich und mich wegzuhol'n ...«
    »Joel, ich will nich' ...«
    »Hey. Das wird nich' passier'n, Mann. Und deswegen darfste nich' verraten, dass ich heut spät dran war. Kannste so tun als ob?«
    »Wie meinste 'n das?«
    »So tun, als wärste im Lernzentrum gewesen. Kannste so tun, als wär heute alles so gewesen wie immer?«
    »Okay«, willigte Toby ein.
    Joel sah seinen Bruder an. Tobys kurze Lebensgeschichte war ein fortlaufender Beweis, dass er nicht gerade ein Meister darin war, so zu tun als ob. Aber Joel musste daran glauben, dass es möglich war, seine Tante über den Verlauf des Nachmittags zu täuschen. Es war wichtig, dass das Leben in ihren Augen so aussah wie immer. Die kleinste Abweichung, und Kendra würde Argwohn schöpfen, und Argwohn konnte Joel im Augenblick nicht ertragen.
    Doch bei all seinen Überlegungen hatte Joel Luce Chinakas Besorgnis nicht bedacht. Er kam nicht auf den Gedanken, dass Fabia Bender ihr vielleicht nahegelegt hatte, Toby ganz besonders im Auge zu behalten, und dass Luce die Dinge selbst in die Hand genommen haben könnte, als Toby nicht im Lernzentrum erschien, Kendra im Laden angerufen und sich erkundigt hatte, ob er vielleicht krank sei. Als Kendra abends nach Hause kam, stellte sie eine Tüte mit chinesischem Essen auf den Küchentisch und suchte nach Joel, um zu erfahren, wieso er seine Pflicht versäumt habe, sich um Toby zu kümmern. Doch ein Quäntchen Glück kam Joel zu Hilfe. Er hatte ein flaues Gefühl im Magen und eine Schwere in den Gliedern verspürt. Darum hatte er sich oben auf sein Bett gelegt. Dort lag er zusammengerollt in der Dunkelheit und starrte die Wand an, wo er, ganz gleich was er tat, Bilder der dunkelhaarigen Frau vor sich sah, ihr Lächeln, ihre Stimme hörte, wie sie »Hallo« sagte und fragte, ob er und Cal sich verlaufen hätten.
    Als Kendra hereinkam, das Licht anknipste und fragte: »Joel, warum hast du deinen Bruder nicht zum Lernzentrum gebracht?«, konnte er wahrheitsgemäß antworten: »Mir war nich' gut.«
    Kendra setzte sich auf die Bettkante und fühlte ihm mit mütterlicher Besorgnis die Stirn. Ihre Stimme klang völlig verändert, als sie

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