Am Ende war die Tat
Toby ihr so auf die Nerven ging, bis sie ihn am liebsten auf die Schienen werfen wollte. Schlimmer noch: Nachgeben bedeutete, dass sie verpassen würde, was immer Six und Natasha für diesen Nachmittag und Abend geplant hatten, sodass sie sich bei ihrem nächsten Zusammentreffen erneut in der Außenseiterrolle finden würde.
Sie würde also den nächsten Zug nach Osten abwarten und zusteigen. Achtundzwanzig Minuten nachdem Genera mit Joelund Toby fortgegangen war, rollte er in den Bahnhof ein, und Ness stieg ein, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
Die anderen drei boten einen seltsamen Anblick, wie sie da die Landstraße entlanggingen: Toby mit dem Schwimmreifen um den Bauch, Joel in seiner schlecht sitzenden Kleidung aus dem Wohltätigkeitsladen und Genera in Cremeweiß und Marineblau, als sei sie auf dem Weg zu einer Teestunde in einem feinen Hotel auf dem Lande.
Nachdem sie das Pförtnerhäuschen am Tor passiert hatten, führte sie ihre Neffen die geschwungene Auffahrt hinauf, entlang an einer weiten Rasenfläche mit nackten Eichen und kahlen, farblosen Blumenbeeten. In der Ferne erhob sich ihr eigentliches Ziel: die Front, Flügel, Türmchen und Giebel eines Neugotikbaus, die Fassade mit einer Patina aus Schimmel und Ruß überzogen. In den Winkeln und Mauervorsprüngen nisteten Vögel.
Krähen krächzten und flatterten auf, als Genera und die Jungen die breite Eingangstreppe erreichten. Blind stierten die Fenster ihnen entgegen, außen mit vertikalen Gittern versehen, innen mit verbogenen Rollos. Vor der gewaltigen Eingangspforte stockte Tobys Schritt. Mit seinem Schwimmreifen bewaffnet, war er so folgsam einhergetrottet, seit sie den Bahnhof verlassen hatten, dass sein plötzliches Zögern Genera überraschte.
»Schon okay, Tante Ken«, sagte Joel hastig. »Er hat keine Ahnung, wo wir hier sind. Aber sobald er Mum sieht, kriegt er's auf die Reihe.«
Genera vermied es, die naheliegende Frage zu stellen: Wie konnte Toby nicht wissen, wo sie hier waren? Er war die längste Zeit seines Lebens zu Besuchen hierhergekommen. Und Joel vermied es, ihr die naheliegende Antwort zu geben: Toby hatte sich wieder nach Sosi zurückgezogen. Stattdessen drückte Joel gegen die Tür und hielt sie seiner Tante auf. Er bedeutete Toby, ihr ins Innere zu folgen.
Der Empfang befand sich auf der linken Seite der Eingangshalle, die mit schwarz-weißen PVC-Fliesen ausgelegt war. An der Tür lag eine an den Rändern ausgefranste Fußmatte. Ein Schirmständer und eine Holzbank vervollständigten das Mobiliar des Foyers, das in einen Flur mit einer breiten Holztreppe mündete. Diese Treppe führte in scharfen Kehren zum ersten und zweiten Obergeschoss hinauf.
Mit Toby an der Hand trat Joel an den Empfang, und ihre Tante folgte. Die Dame hinter dem Schalter erkannte er von früheren Besuchen wieder, auch wenn er ihren Namen nicht wusste. Doch er erinnerte sich an ihr gelbes, zerfurchtes Gesicht. Stechender Zigarettengeruch hüllte sie ein.
Unaufgefordert reichte sie ihnen die Besucherpässe. »Achtet darauf, dass sie sichtbar an der Kleidung befestigt sind.«
»Danke«, antwortete Joel. »Is' sie in ihrem Zimmer?«
Die Angestellte wies mit einer Geste zur Treppe, als wolle sie ihn wegscheuchen. »Du musst oben fragen. Abmarsch! Hier rumzuhängen, nützt keinem.«
Das war indessen nicht ganz richtig. Nicht im weiteren Sinne. Menschen kamen hierher oder wurden von ihren Familien, Ärzten oder von Richtern hier eingewiesen, weil es ihnen nützen, mit anderen Worten, sie heilen sollte, damit sie wieder normal und lebenstüchtig wurden.
In der zweiten Etage hielt Joel auf einen weiteren Schalter zu. Ein Pfleger schaute von einem Computerbildschirm auf. »Fernsehraum, Joel.« Dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu.
Sie gingen den PVC-gefliesten Flur entlang, vorbei an Türen auf der linken und Fenstern auf der rechten Seite. Genau wie unten waren auch hier die Fenster vergittert, und die gleichen Rollos hingen davor - die Sorte, die den Markennamen »Anstalt« hätte tragen können. Ihre Breite, die schiefen Lamellen und die dicke Staubschicht waren in allen Einrichtungen dieser Art gleich. Genera nahm all das in sich auf, während sie ihren Neffen folgte. Sie war nie zuvor hier gewesen. Bei den seltenen Gelegenheiten, da sie Carole besucht hatte, war das Wetter gut gewesen und sie hatten sich draußen getroffen. Sie wünschte, es wäre auch heute schön und warm genug gewesen, damit siedie Konfrontation mit dieser Realität im
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