Am Ende war die Tat
zuzuschauen, und warsich wie immer nicht bewusst, was für einen merkwürdigen Anblick er bot: ein kleiner Junge in zu großen Jeans mit einem Schwimmreifen um die Hüften und Turnschuhen, die mit Klebeband geschlossen waren.
Die Skate-Bowl zog sich einen der Hügel hinauf und bestand aus drei Ebenen - der einfachste Parcours oben, der schwierigste und steilste ganz unten. Man erreichte die einzelnen Ebenen über eine Betontreppe, und ein breiter Randstreifen rund um die Anlage bot denjenigen Skatern Platz, die warten muss- ten, bis sie an die Reihe kamen.
Toby erklomm die Treppe und rief Joel zu: »Guck ma'! Das kann ich auch!«
Die Wartenden und die Zuschauer kommentierten Tobys Erscheinen mit »Verdammt, was ...?« und »Hau bloß ab, du Idiot!«
Joel lief rot an, hastete die Treppe hinauf und nahm seinen Bruder an der Hand. Er zerrte ihn hinab, ohne mit irgendje- mandem Blickkontakt aufzunehmen, doch an Hibah kam er nicht vorbei.
Sie wartete am Fuß der Treppe. Als er seinen protestierenden Bruder zum Weg zurückzog, fragte sie: »Is' der zurückgeblieben oder so? Und warum hat er Klebeband an den Schuhen?« Den Schwimmreifen erwähnte sie nicht.
»Er is' nur anders«, erklärte Joel.
»Na, das seh ich«, erwiderte sie. Sie warf Toby einen forschenden Blick zu, ehe sie sich wieder Joel zuwandte. »Er wird bestimmt viel rumgekickt, kann ich mir denken.«
»Manchmal.«
»Is' bestimmt ätzend für dich.«
Joel zuckte die Schultern.
Sie nickte nachdenklich. »Also komm«, sagte sie. »Du auch, Toby. Warste schon mal oben im Turm? Ich zeig dir die Aussicht. Man sieht bis zum Fluss, Mann. Und das London Eye kann man auch seh'n. Das is' total cool.«
Der Wachmann in der Pförtnerloge des Trellick Tower nickte Hibah freundlich zu, als sie zum Aufzug hinübergingen. Hibah drückte den Knopf zum dreißigsten Stockwerk. Trotz der ungeputzten Fenster war die Aussicht wirklich so »cool«, wie sie versprochen hatte. Pkw und Laster waren klein wie Matchbox-Autos, und das Häusermeer wirkte wie eine Spielzeuglandschaft.
»Guck ma'! Guck ma'!, rief Toby wieder und wieder, während er von einem Fenster zum anderen stürzte.
Hibah musste lachen, aber es klang nicht gehässig. Sie war anders als die meisten, schloss Joel. Vielleicht, dachte er, könnte sie wirklich seine Freundin sein.
Sie teilte sich den verbliebenen Stapel Werbezettel mit Joel. Einer übernahm die Stockwerke mit den geraden Zahlen, der andere die ungeraden, und im Handumdrehen waren die Flyer verteilt. Sie trafen sich wieder im Erdgeschoss an den Aufzügen. Als sie zurück ins Freie traten, überlegte Joel, wie er Hibah für ihre Hilfe danken oder bezahlen konnte.
Während Toby davontrottete, um durch das Schaufenster eines Zeitungsladens am Fuße des Turms zu spähen, trat Joel von einem Fuß auf den anderen. Trotz der Brise, die die Golbourne Road hinaufgeweht kam, fühlte er sich erhitzt und klebrig. Er suchte nach Worten, um Hibah zu erklären, dass er kein Geld hatte, um ihr zum Zeichen seiner Dankbarkeit eine Cola, einen Schokoriegel, ein Eis oder sonst irgendetwas zu kaufen, als plötzlich jemand ihren Namen rief. Joel wandte sich um und sah einen Jungen auf einem Fahrrad näher kommen.
Der Ankömmling kam vom Grand Union Canal herauf. Er trug die übliche Kluft aus weiten Jeans, abgewetzten Turnschuhen, Kapuzen-Sweatshirt und Baseballmütze. Genau wie Joel war er offenbar ein Mischlingsjunge: die Haut gelblich, aber die Gesichtszüge eines Schwarzen. Seine rechte Gesichtshälfte hing ein wenig herab, als beschwerte sie ein unsichtbares Gewicht, was ihm ein finsteres Aussehen verlieh, das auch die Pubertätsakne nicht aufzuwiegen vermochte.
Er bremste, sprang vom Sattel und warf das Rad auf die Erde. Dann stürmte er auf sie zu, und Joel spürte, wie seine Eingeweide sich schmerzhaft verkrampften. Das Gesetz der
Straße schrieb vor, dass er jedem potenziellen Angreifer die Stirn bieten musste, wenn er nicht für immer als Hosenscheißer abgestempelt sein wollte.
»Neal!«, rief Hibah. »Was machs'n du hier? Ich dachte, du gehs' ...«
»Wer is'n das? Ich hab dich gesucht. Du has' gesagt, du gehs' zum Busdepot, aber da warste nich'. Was soll'n das?«
Es klang drohend, aber Hibah war kein Mädchen, das sich leicht einschüchtern ließ. »Spioniers' du mir hinterher? Eh, das gefällt mir nich'.«
»Wieso? Haste irgendwas zu verbergen?«
Hibahs Freund, dachte Joel verblüfft. Das war also der Junge, mit dem sie sich während der
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