Am Ende war die Tat
Zweifel daran gehabt, was dieser Mann zu tun imstande war. Zum einen war da die Tätowierung und was eine Gift spritzende Kobra im Gesicht über das Innenleben ihres Trägers ebenso wie über seine Chancen auf einen lukrativen oder auch nur annähernd legalen Arbeitsplatz aussagte. Dann seine Größe - ein komplexbeladener Napoleon, indes ohne alle kaiserlichen Würden, um die weniger angenehmen Seiten seiner Persönlichkeit auszugleichen. Des Weiteren seine Wohnsituation und all die Unannehmlichkeiten, die eine Behausung mit sich brachte, der die Abrissbirne drohte. Schließlich sein Betätigungsfeld, zu dessen Begleiterscheinungen eine nicht allzu hohe Lebenserwartung zählte. Doch um all diese Indizien zu beurteilen und die entsprechenden Schlüsse zu ziehen, war es erforderlich, dass der Betrachter zu rationalen und komplexen Gedankengängen in der Lage war. Als Ness The Blade zum ersten Mal begegnete, war sie dazu ganz und gar nicht fähig gewesen, und als sie vielleicht wieder in der Lage gewesen wäre, ihn mit klarem Blick zu betrachten, war sie schon zu tief verstrickt, um das überhaupt noch zu wollen.
Also sagte sie sich, dass es in ihrer Beziehung mit The Blade Elemente gab, die darauf hindeuteten, dass er sie auserwählt hatte, selbst wenn sie nicht wusste, wofür. In ihrer momentanen Lebenssituation konnte sie es sich nicht leisten, gründlich über die Beziehungen zwischen Männern und Frauen nachzudenken. Darum kam sie stattdessen zu voreiligen Schlüssen, die auf rein oberflächlichen Informationen basierten. Diese Informationen beschränkten sich auf drei Bereiche ihres Lebens: den sexuellen, den finanziellen und den drogenorientierten.
Sie und The Blade waren ein Liebespaar - wenn man dieses Wort denn auf das niedere Niveau anwenden konnte, auf dem der junge Mann seine Sexualität auslebte. Ness' Befriedigung spielte dabei keine Rolle, aber die erwartete sie auch nicht. Solange sie miteinander schliefen, war sie dem Baby einen Schritt näher, das sie sich zu wünschen glaubte, und gleichzeitig konnte sie sich einreden, dass ihre Beziehung mit The Blade so stabil war, wie sie es ersehnte. So kam es, dass sie seine Rücksichtslosigkeiten - die Frauen mit größerem Selbstwertgefühl vielleicht als entwürdigend empfunden hätten - damit rechtfertigte, dass »ein Mann eben seine Bedürfnisse hat«, und sich regelmäßig seinem Gerammel unterwarf, dem niemals etwas vorausging, das auch nur im Entferntesten einem zärtlichen Vorspiel oder einer Verführung ähnelte. Da sie ja ein Liebespaar waren und er sich so benahm, als empfände er eine gewisse Zuneigung zu ihr, war sie, wenn vielleicht nicht zufrieden, so aber doch zumindest beschäftigt. Eine beschäftigte Frau hat wenig Zeit für Fragen.
Als er ihr das Handy geschenkt hatte, besaß sie etwas, wonach ihre Freundinnen lechzten. Sie hatte ihnen etwas voraus, und nicht nur das: Ness hielt an dem Glauben an The Blades romantische Absichten fest, so als habe er ihr einen kostbaren Diamanten geschenkt. Gleichzeitig fühlte sie sich überlegen, und das genoss sie. In den Augen ihrer Umgebung war ihr Wert gestiegen.
Sie war überlegen - Six und Natasha übergeordnet - wegen The Blade. Er war die Quelle für das Gras, das sie rauchte, und für das Kokain, das sie schnupfte, und sie war nicht mehr auf die Almosen der Drogenkuriere aus der Nachbarschaft angewiesen wie Six und Natasha. Für Ness war die Tatsache, dass The Blade sie großzügig mit Drogen versorgte, ein Beweis dafür, dass sie ein echtes Paar waren.
Sie klammerte sich an diese Überzeugung - zumal sie nichts sonst hatte, woran sie sich klammern konnte - und versuchte zu vergessen, was Six über The Blade gesagt hatte. Mit seiner Vergangenheit konnte sie leben. Herrgott noch mal, er war eben»ein Mann mit Bedürfnissen«, und sie konnte wohl kaum erwarten, dass er sich für sie aufgespart hatte. Doch ganz gleich, wie sehr sie sich bemühte - zwei der Informationen über The Blade, die Six ihr auf der Kensington High Street so grausam offenbart hatte, konnte sie nicht ignorieren: dass er zwei Kinder gezeugt hatte: eines im Dickens Estate und eines an der Adair Street. Und Arissa.
Die Frage nach den Babys und allem, was damit zusammenhing, war so schrecklich für Ness, dass sie nicht wagte, sie in ihrem Kopf zu formulieren, geschweige denn sie zu stellen. Arissa hingegen besetzte ein Thema, über das sie gut nachdenken konnte, selbst wenn diese Nebenbuhlerin den Albtraum einer jeden
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