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Am Ende zählt nur das Leben

Am Ende zählt nur das Leben

Titel: Am Ende zählt nur das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja B.
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Sarah. Irgendwann während der Ferientage aber kam der Moment, in dem ich mir sagte: Jetzt ist Schluss! Das Leben muss weitergehen! Ich fühlte tief in mir den Wunsch nach Leben, ohne diesen Gedanken mit konkreten Vorstellungen füllen zu können. Sicher, es machte mir Freude, mit Robert zusammen zu sein, aber das war nur ein Teil des Lebens. Freude sollte ich auch in anderen Momenten empfinden können.
    Nachdem wir von unserer Reise zurückgekehrt waren, suchte ich mir eine neue Arbeitsstelle. Wenig später zog ich in eine eigene Wohnung in der nächstgelegenen Kleinstadt. Ich wollte auf eigenen Füßen stehen und allein zurechtkommen. Solange ich den neu erweckten Elan spürte, musste ich ihn ausnutzen.
    Das Arbeiten tat mir gut. Meine neuen Kollegen waren nett und kannten meine Geschichte nicht. Meine Mutter überraschten die Schritte, die ich unternahm, und sie ließ mich nur ungern ziehen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, dann sollte ich immer bei ihr bleiben. Sie wollte mich in ihrer Nähe haben und auf mich achten. Insgeheim hatte ich jedoch das Gefühl, sie selbst brauchte mich, damit ich auf sie achtete. Sie befand sich noch immer in einem dunklen Tunnel, ohne Licht zu sehen.
    »Nimm es mir bitte nicht übel, Mama, aber ich muss hier raus. Es geht wirklich nicht länger. Bei euch habe ich ständig die Erinnerungen vor Augen. Das tut mir nicht gut.«
    Robert gegenüber wurde ich deutlicher.
    »Die Trauer meiner Eltern macht mich fertig. Ich kann es nicht länger ertragen. Wenn ich noch länger bei ihnen wohne, dann zieht es mich immer weiter runter, obwohl ich manchmal denke, es geht überhaupt nicht tiefer.«
    »Ich finde es richtig, was du machst.«
    Ich musste weg von der Verzweiflung meiner Mutter und meines Vaters. Es schmerzte, sie noch immer in Stille leiden zu sehen. Tränen und wortlose Trauer bestimmten ihren Alltag. Dabei wurde kaum über die tragischen Ereignisse gesprochen, keiner von ihnen sagte, was der Verlust und das Entsetzen mit der eigenen Seele angerichtet hatten. Mir hingegen tat es gut, wenn ich darüber sprach. Es erleichterte mich, meine Gefühle herauszulassen. Meine Eltern hingegen verkrochen sich immer mehr. Nur selten gab es Hinweise darauf, was in ihnen vorging, was sie dachten und fühlten.
    »Wir hätten dich schützen müssen«, sagte meine Mutter einmal, und ich war hilflos angesichts dieser Worte, denn mich quälten eigene Schuldgefühle. Ich hielt es nicht aus. Es gab Situationen, in denen ich nicht hören konnte, was sie mir mitteilen wollte. Meine Eltern waren nun wirklich die Letzten, die irgendeine Schuld an den Ereignissen traf.
    Robert wohnte zu dieser Zeit in einer Wohngemeinschaft mit Basti in einem Nachbarort. Wir besuchten uns häufig und verbrachten so viel Zeit wie möglich miteinander. Robert war in den letzten Monaten zweifellos zu meinem engsten Vertrauten, meinem Partner, meiner Stütze und meiner großen Liebe geworden. Er war der Mann meines Lebens. Unsere Beziehung bekam eine vollkommen andere Basis als noch vor sieben Jahren. Damals waren wir unreif und kaum erwachsen gewesen, und jetzt forderte das Leben Stärke und Übersicht von uns. Ohne Robert hätte ich die Zeit nach Sarahs Tod nicht überstanden.
    Die organisatorischen Aufgaben wurden nicht weniger, aber zu meiner Erleichterung regelte der Anwalt einen Großteil des anfallenden Papierkrams. Er war eine unschätzbare Hilfe bei Versicherungsfragen und in der Korrespondenz mit den Banken.
    Schon bald nachdem er das Mandat übernommen hatte, beantragte er Einsicht in die Polizeiakten. Nach seiner Prüfung der entsprechenden Unterlagen bat er mich in seine Kanzlei. Er saß hinter seinem Schreibtisch und sah traurig aus. Er war noch jung, höchstens Mitte dreißig, schätzte ich. Mit Familientragödien hatte er in seinem Berufsleben bisher nicht viel zu tun gehabt.
    »Frau B., Sie sollten sich keinesfalls die komplette Akte ansehen, allenfalls einige Auszüge. Es macht keinen Sinn, wenn Sie sich mit den Einzelheiten belasten«, riet er mir, und seine Stimme klang brüchig.
    Ich hatte keine genaue Vorstellung vom Inhalt der Polizeiakte, aber ich vermutete Fotos darin, die ich mir ohnehin nicht angeschaut hätte. Die Akte war erstaunlich dick und lag aufgeschlagen auf dem Schreibtisch. Plötzlich sah ich die Tränen in den Augen meines Rechtsanwalts. Er verlor die Fassung und schüttelte mit dem Kopf.
    »Entschuldigen Sie, Frau B. … es tut mir leid, aber ich kann es nicht begreifen. Meine Tochter ist

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