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Am ersten Tag - Roman

Am ersten Tag - Roman

Titel: Am ersten Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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bestellte unser Essen.
    »Ich habe vielleicht etwas, das Sie interessieren könnte«, sagte er. »Während meiner Recherchen zur Himmelsscheibe von Nebra - und davon habe ich weiß Gott genügend durchgeführt - bin ich in der Nationalbibliothek auf ein Dokument gestoßen. Zunächst nahm ich an, es könnte mich weiterbringen, doch es war eine falsche Fährte. Ihnen hingegen könnte es nützlich sein. Ich habe den ganzen Nachmittag meine Akten durchforstet, ohne es allerdings zu finden, aber ich erinnere mich an den Inhalt. Es war in Ge’ez abgefasst, einer sehr alten afrikanischen Sprache, deren Zeichen dem griechischen Alphabet relativ ähnlich sind.«
    Plötzlich schien Keiras Interesse geweckt.
    »Ge’ez ist eine semitische Sprache, aus der in Äthiopien Amharisch und in Eritrea Tigrinnisch entstanden sind. Die ersten Schriften in Ge’ez sind etwa dreitausend Jahre alt. Äußerst erstaunlich ist in der Tat die Ähnlichkeit mit dem Altgriechischen, nicht nur was das Alphabet, sondern auch was bestimmte Laute betrifft. Nach dem Glauben der orthodoxen äthiopischen Kirche wurde Enosch das Ge’ez durch Gott offenbart. Nach der Genesis ist Enosch der Sohn von Set, der
Enkel von Adam und der Vater von Kenan. Auf Hebräisch bedeutet Enosch ›Mensch‹. Nach der orthodoxen äthiopischen Bibel wurde Enosch im Jahr dreihundertfünfundzwanzig nach der Welterschaffung geboren, das heißt im achtunddreißigsten Jahrhundert vor Christi, was in der hebräischen Mythologie der vorsintflutlichen Zeit entspricht. Was, was ist denn los?«
    Ich muss Keira komisch angesehen haben, denn sie unterbrach ihre Ausführungen und fügte nur noch hinzu, sie sei froh, wenn ich endlich bemerkt hätte, dass ihre Hauptarbeit nicht in der Aktualisierung von Reiseführern bestünde.
    »Erinnern Sie sich noch, worum es in diesem Text auf Ge’ez ging?«, fragte Keira den Kurator.
    »Damit wir uns recht verstehen, der Originaltext ist zwar auf Ge’ez verfasst, doch das, was ich in der Hand hatte, war eine Übertragung aus dem fünften oder sechsten Jahrhundert vorchristlicher Zeit. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, ging es um eine Himmelsscheibe, eine Art Karte, bestehend aus mehreren Stücken, von denen ein jedes einer Weltbevölkerung als Anleitung gedient haben soll. Die Übersetzung ist recht wirr und lässt Raum für alle möglichen Interpretationen. Doch in dem Text kam auch das Wort ›Vereinigung‹ vor, daran erinnere ich mich ganz genau, und dieser Begriff ist auf eigenartige Weise mit dem der Trennung verbunden - unmöglich zu sagen, ob der eine oder andere den Beginn oder das Ende der Welt bezeichnet. Vermutlich handelt es sich um einen mehr oder minder religiösen Text, eine Art Prophezeiung würde ich meinen. Aber er war ohnehin zu alt, um mit der Himmelsscheibe von Nebra zu tun zu haben. Sie sollten sich in die Deutsche Nationalbibliothek begeben. Lesen Sie die Handschrift, um sich selbst ein Bild zu machen. Ich will ja keine falschen Hoffnungen wecken, die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Dokument irgendeine Beziehung zu dem Objekt hat, das Sie
um den Hals tragen, ist natürlich äußerst gering, aber an Ihrer Stelle würde ich es mir ansehen, man weiß ja nie.«
    »Und wie findet man diese Schrift? Die Nationalbibliothek ist riesig.«
    »Ich bin mir sicher, sie in Frankfurt konsultiert zu haben, ich war zwar auch mehrmals in den Staatsbibliotheken von München und Leipzig, aber was dieses Dokument angeht, weiß ich, dass ich es in Frankfurt gesehen habe. Ach, jetzt fällt es mir wieder ein, es befindet sich in einem Codex, doch in welchem? Das liegt nun schon zehn Jahre zurück. Ich muss wirklich Ordnung in meine Sachen bringen. Ich mache mich gleich heute Abend daran, und wenn ich etwas finde, gebe ich Ihnen Bescheid.«
    Nachdem sich der Kurator verabschiedet hatte, beschlossen Keira und ich, zu Fuß zum Hotel zurückzukehren. Die Altstadt von Nebra war sehr hübsch, und ein Spaziergang würde uns nach dem allzu üppigen Essen guttun.
    »Entschuldige, ich habe den Eindruck, dich in ein Abenteuer gezogen zu haben, das weder Hand noch Fuß hat.«
    »Ich hoffe, das soll ein Scherz sein«, antwortete Keira, »und du machst jetzt nicht schlapp, nicht jetzt, wo die Sache gerade anfängt, interessant zu werden. Ich weiß nicht, was du morgen früh vorhast, ich für meinen Teil fahre nach Frankfurt.«
    Wir überquerten einen kleinen, ruhigen Platz mit einem hübschen Brunnen in der Mitte, als plötzlich ein Wagen mit

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