Am ersten Tag - Roman
waren.«
»Wirklich?«
»Wirklich!«
»Wenn Sie es nicht waren, ist es noch beunruhigender.«
»Man hat versucht, unsere Schützlinge umzubringen, das ist inakzeptabel!«
»Müssen Sie denn immer so übertreiben? Wenn einer von
uns ihnen tatsächlich nach dem Leben getrachtet hätte, wären sie schon längst tot. Man hat höchstenfalls versucht, sie einzuschüchtern, es ging nie darum, sie ernsthaft zu gefährden.«
»Nichts als Lügen!«
»Es war eine dumme Entscheidung, da gebe ich Ihnen recht, aber sie kam nicht von mir, ich habe mich dagegen ausgesprochen. Lorenzo hat in den letzten Tagen ärgerliche Initiativen ergriffen. Übrigens, wenn Sie das tröstet, ich habe ihn ausdrücklich wissen lassen, wie sehr wir sein Vorgehen missbilligen. Aus ebendiesem Grund bin ich nach Rom gereist. Trotzdem ist unser Komitee über die Wendung, die die Ereignisse nehmen, äußerst beunruhigt. Ihre Schützlinge, wie Sie sie nennen, müssen aufhören, durch die Weltgeschichte zu reisen. Bis jetzt gab es kein Drama zu beklagen, doch ich befürchte, unsere Freunde werden zu radikaleren Mitteln greifen, wenn die Sache so weitergeht.«
»Ach, der Tod eines alten Stammeschefs ist für Sie also kein Drama? Aber in welcher Welt leben Sie eigentlich?«
»In einer Welt, die die beiden mit ihrem Handeln gefährden könnten.«
»Ich dachte, niemand schenkt meinen Theorien Glauben. Wie ich sehe, ändern auch Dummköpfe ihre Meinung.«
»Wäre das Komitee gänzlich von Ihren Theorien überzeugt, hätte nicht nur Lorenzos Handlanger den Weg der beiden Wissenschaftler gekreuzt. Die Organisation will kein Risiko eingehen. Wenn Sie so sehr an Ihren beiden Forschern hängen, rate ich Ihnen dringend, sie von der Fortführung ihrer Untersuchungen abzubringen.«
»Ich will Sie nicht belügen, Vackeers, wir haben zu viele Abende lang zusammen Schach gespielt, aber wenn es sein muss, werde ich diese Partie gegen alle gewinnen. Sagen Sie den Komiteemitgliedern, dass sie schon mattgesetzt sind. Wenn sie noch
einmal das Leben dieser Wissenschaftler gefährden, werden sie unnötigerweise einen wichtigen Stein in ihrem Spiel verlieren.«
»Welchen?«
»Sie, Vackeers.«
»Sie schmeicheln mir, Ivory.«
»Nein, ich habe meine Freunde nie unterschätzt, darum bin ich auch noch am Leben. Ich fahre nach Paris. Sie brauchen mich nicht überwachen zu lassen.« Ivory erhob sich und verließ Vackeers’ Büro.
Paris
Die Stadt hatte sich seit meinem letzten Besuch sehr verändert. Überall sah man Fahrräder, und wären sie nicht alle gleich gewesen, hätte man sich in Amsterdam geglaubt. Das ist eine Besonderheit der Franzosen, sie sind nicht in der Lage, die Farbe der Taxis zu vereinheitlichen, bei den Fahrrädern aber haben sie alle dasselbe Modell gekauft. Ich werde das wohl nie verstehen.
»Das liegt daran, dass du Engländer bist«, antwortete Keira. »Die Poesie meiner Landsleute wird euch Briten immer entgehen.«
Ich verstand nicht wirklich, was diese grauen Drahtesel mit Poesie zu tun hatten, doch ich musste zugeben, dass die Stadt schöner geworden war. Zwar war der Verkehr noch höllischer als in meiner Erinnerung, die Bürgersteige aber waren breiter geworden und die Fassaden heller, nur die Pariser schienen sich in den letzten zwanzig Jahren nicht verändert zu haben. Sie gingen noch immer bei Rot über die Ampel und drängten sich vor, ohne sich zu entschuldigen … Die Vorstellung, Schlange zu stehen, schien ihnen völlig fremd. Am Gare de l’Est hatte man uns zweimal das Taxi vor der Nase weggeschnappt.
»Paris ist die schönste Stadt der Welt«, fuhr Keira fort, »da gibt es nichts zu diskutieren, das ist eine Tatsache.«
Als Erstes wollte sie ihre Schwester besuchen. Sie bat mich eindringlich, nichts von den Ereignissen in Äthiopien zu erzählen. Jeanne neige von Natur aus dazu, sich Sorgen zu machen,
vor allem, wenn es um Keira ging, also sei es unnötig, ihr von den Spannungen zu berichten, die ihre kleine Schwester vorübergehend aus dem Omo-Tal vertrieben hatten. Denn Jeanne sei durchaus in der Lage, die Gangway des Flugzeugs mit körperlichem Einsatz zu blockieren, um Keira an einer Rückkehr zu hindern. Wir mussten also etwas erfinden, das unsere Anwesenheit in Paris rechtfertigte. Ich schlug ihr vor zu sagen, sie sei mich besuchen gekommen, doch Keira erklärte, eine solche Lügengeschichte würde ihre Schwester niemals glauben. Ich tat, als würde mich das nicht kränken, was aber trotzdem der Fall war.
Sie rief Jeanne
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