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Am ersten Tag - Roman

Am ersten Tag - Roman

Titel: Am ersten Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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einem Baumwolltuch, um daraus einen Mundschutz zu basteln. Plötzlich stieß sie einen kleinen Schrei aus.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    »Nichts, ich habe mich an irgendetwas im Futter meines Gepäcks gestochen. Wahrscheinlich eine Nadel oder Heftklammer.«
    »Blutet es?«
    »Ein bisschen«, antwortete sie noch immer über ihre Tasche gebeugt.
    Die Sicht war schlecht, und so musste ich das Steuer mit beiden Händen halten.
    »Sieh im Handschuhfach nach, da ist eine Erste-Hilfe-Box und sicher auch ein Pflaster.«

    Keira nahm sie und holte eine Schere heraus.
    »Bist du ernsthaft verletzt?«
    »Nein, es ist nichts, aber ich will wissen, an was ich mich da gestochen habe. Die Tasche hat schließlich ein kleines Vermögen gekostet!«, sagte sie und verrenkte sich erneut, um ihr Gepäck weiter zu inspizieren.
    »Darf ich fragen, was du da machst?«, erkundigte ich mich, als sie mir dabei ihr Knie in die Rippen stieß.
    »Ich trenne.«
    »Was trennst du?«
    »Ich trenne dieses verdammte Futter auf, aber sei still und konzentrier dich auf die Straße!«
    Ich hörte Keira brummen:
    »Aber was ist denn das für ein Ding?«
    Nach einem weiteren mühsamen akrobatischen Akt gelang es ihr, wieder auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. Dann hielt sie mir triumphierend eine kleine Metallbrosche hin.
    »Das nenne ich eine Nadel!«
    Das Ding sah einem Werbepin zum Verwechseln ähnlich, nur dass es grau und stumpf war und keine Aufschrift hatte. Keira betrachtete es eingehender, und ich sah, wie sie blass wurde.
    »Was ist?«
    »Nichts«, sagte sie, dabei bezeugte ihr Gesichtsausdruck das Gegenteil. »Vermutlich irgendein Nähzubehör, das im Futter vergessen wurde.«
    Keira bedeutete mir zu schweigen und so bald wie möglich anzuhalten. Wir ließen die Außenbezirke von Linfen hinter uns. Je weiter wir in die Berge vordrangen, umso kurviger wurde die Straße. In dreihundert Meter Höhe ließen wir die Luftverschmutzung unter uns zurück und hatten plötzlich, so als hätten wir eine Wolke durchstoßen, wieder blauen Himmel
über uns. Hinter einer Biegung gab es eine kleine Bucht, in der ich parken konnte. Keira legte die Brosche auf das Armaturenbrett, stieg aus und machte mir ein Zeichen, ihr zu folgen.
    »Du bist wirklich komisch«, sagte ich, als ich sie eingeholt hatte.
    »Komisch ist, dass ich eine Wanze in meiner Tasche gefunden habe.«
    »Eine was?«
    »Es ist keine Nadel, ich weiß, wovon ich spreche, das ist ein Mikro.«
    Ich kenne mich auf dem Spionagesektor nicht sonderlich gut aus und konnte kaum glauben, was sie da sagte.
    »Wir gehen jetzt zum Auto zurück, du siehst dir das Ding genauer an, dann kannst du dich selbst davon überzeugen.«
    Keira hatte recht, es war tatsächlich ein kleiner Sender. Wir stiegen wieder aus, um uns, vor unerwünschten Zuhörern geschützt, besprechen zu können.
    »Kannst du dir vorstellen, warum man ein Mikro in meiner Tasche versteckt hat?«
    »Es heißt, die chinesischen Behörden sammeln gerne Informationen über die Ausländer, die sich in ihrem Land aufhalten. Vielleicht ist das die normale Prozedur bei allen Touristen?«, meinte ich.
    »Es gibt jedes Jahr etwa zwanzig Millionen Besucher in China, glaubst du wirklich, dass sie bei jedem ein Mikro im Gepäck verstecken?«
    »Keine Ahnung, vielleicht machen sie das nach dem Zufallsprinzip.«
    »Oder auch nicht! Denn wenn dem so wäre, wären wir sicher nicht die ersten, die darauf stoßen, und wir hätten in der westlichen Presse längst von solchen Praktiken gehört.«
    »Vielleicht machen sie das erst seit Kurzem?«

    Ich hatte das gesagt, um Keira zu beruhigen, aber tatsächlich fand ich diese Situation ebenso befremdlich wie störend. Ich versuchte, mich zu erinnern, worüber wir im Auto gesprochen hatten, mir fiel jedoch nichts ein, was uns Schwierigkeiten hätte bereiten können, ausgenommen vielleicht Keiras Bemerkungen über den Schmutz und Gestank in den Industriestädten, die wir durchfahren hatten, und über den zweifelhaften Hotdog, den sie mittags zu sich genommen hatte.
    »Gut, nachdem wir das Ding gefunden haben, werfen wir es hier weg und fahren in aller Ruhe weiter«, schlug ich vor.
    »Nein, lass es uns behalten, wir brauchen nur das Gegenteil von dem zu sagen, was wir denken. So können wir unsere Spione manipulieren.«
    »Und was ist mit unserer Intimsphäre?«
    »Adrian, das ist nicht der richtige Moment, um den Engländer rauszukehren. Heute Abend untersuchen wir auch dein Gepäck. Wenn sie meins verwanzt

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