Am ersten Tag - Roman
verstehe nichts von alldem, was Sie mir da erzählen, Ivory. Ich habe diesen Stein oder besser diesen Anhänger seit zwei Jahren, und nie hat sich jemand dafür interessiert. Warum jetzt plötzlich?«
»Weil ich vor lauter Stolz unvorsichtig war, um denen zu beweisen, dass ich recht hatte.«
»Recht womit?«
»Ich habe denen anvertraut, dass es ein weiteres Objekt gibt, das mit dem fast identisch ist, das vor Jahrzehnten entdeckt wurde, und ich bin sicher, dass die beiden nicht die einzigen sind. Nie hat mir jemand glauben wollen, und Ihr Anhänger war eine ausgezeichnete Gelegenheit für den alten Mann, der ich heute bin, den anderen zu beweisen, dass meine Theorie richtig war.«
»Nun gut, gehen wir davon aus, es gäbe mehrere Objekte wie das meine und eine Verbindung zwischen ihnen und dieser eher unwahrscheinlichen Legende, was würde das bedeuten?«
»Es liegt bei Ihnen, das zu entscheiden und herauszufinden. Sie sind jung, Sie haben vielleicht noch genug Zeit.«
»Was herauszufinden, Ivory?«
»Was wäre Ihrer Meinung nach eine perfekte Welt?«
»Ich weiß es nicht, eine freie Welt?«
»Eine hervorragende Antwort, liebe Keira. Ergründen Sie, was die Menschen daran hindert, frei zu sein. Versuchen Sie zu begreifen, warum es all diese Kriege gibt, dann werden Sie es irgendwann verstehen.«
Der alte Professor erhob sich und legte einige Geldscheine auf das Tellerchen mit der Rechnung.
»Sie gehen?«, fragte Keira verblüfft.
»Sie sind zum Mittagessen eingeladen, und ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Ich muss meine Koffer packen, heute Abend geht mein Flugzeug. Es hat mich wirklich sehr gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Sie haben viel mehr Talent, als Sie glauben. Ich wünsche Ihnen einen langen und erfolgreichen Lebensweg, mehr noch, ich wünsche Ihnen, dass Sie glücklich werden. Ist es nicht letztlich das Glück, dem wir alle nachjagen, ohne dass wir wirklich in der Lage wären, es zu erkennen?«
Der alte Professor winkte Keira ein letztes Mal zu und verließ das Restaurant. Die Kellnerin nahm das Geld, das Ivory zurückgelassen hatte.
»Ich glaube, das ist für Sie«, erklärte sie und reichte Keira einen Zettel, der unter dem Tellerchen lag.
Keira zuckte zusammen und faltete das Papier auseinander.
Ich weiß, Sie werden nicht aufgeben. Ich hätte Sie gerne
bei diesem Abenteuer begleitet, mit der Zeit hätte ich Ihnen
beweisen können, dass ich Ihr Freund bin. Ich werde immer
bei Ihnen sein. Ihr ergebener Ivory
Als Keira auf die Rue de Rivoli trat, nahm sie keine Notiz von der Limousine, die genau gegenüber des Teesalons vor den Gittern der Tuileries parkte, ebenso wenig wie von dem Motorradfahrer, der sie durch sein Teleobjektiv beobachtete - sie war zu weit entfernt, um das wiederholte Klicken des Auslösers zu hören. Fünfzig Meter weiter saß Ivory im Fond eines Taxis und lächelte, dann sagte er dem Chauffeur, er könne jetzt losfahren.
London
Wir hatten unser Dossier bei der Walsh-Foundation eingereicht. Ich hatte den Umschlag zugeklebt, und Walter, der wohl befürchtete, ich könnte in letzter Minute einen Rückzieher machen, hatte ihn mir förmlich aus der Hand gerissen, um ihn selbst einzuwerfen. Wenn unsere Bewerbung angenommen würde, fände die große mündliche Anhörung in einem Monat statt. Seit Walter den Brief in den Postkasten gegenüber der Akademie gesteckt hatte, wich er nicht mehr vom Fenster.
»Sie werden doch wohl nicht den Postboten beschatten wollen?«
»Und warum nicht?«, gab er nervös zurück.
»Darf ich Sie daran erinnern, Walter, dass ich und nicht Sie vor der Versammlung werde sprechen müssen. Also seien Sie nicht so egoistisch und lassen Sie mir wenigstens den Vorzug, gestresst zu sein.«
»Sie - gestresst? Das möchte ich erleben!«
Nachdem die Würfel gefallen waren, verbrachte ich weniger Abende mit Walter. Beide nahmen wir wieder unser gewohntes Leben auf, und ich muss gestehen, dass mir seine Gesellschaft fehlte. Ich verbrachte meine Nachmittage in der Akademie und beschäftigte mich mit irgendwelchen Arbeiten, um die Zeit totzuschlagen, bis man mir im nächsten Semester wieder einen Kurs anvertrauen würde. Am Ende eines langweiligen Tages, an dem es ununterbrochen geregnet hatte, schleppte ich Walter in das französische Viertel. Ich suchte ein Buch von
einem meiner herausragenden Kollegen - dem angesehenen Jean-Pierre Luminet -, und das gab es in einer charmanten kleinen Buchhandlung in der Bute Street.
Als wir den French
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