Am ersten Tag - Roman
hatte, wurde mir klar, dass es sich gelohnt hat. Meine Annahme war richtig, nur konnte ich natürlich nicht ahnen, was sich im Zentrum dieser unglaublichen Bilder befindet.«
»Was hast du gesehen, Erwan?«
»Den Pelikannebelfleck.«
»Und warum bringt dich das so aus dem Häuschen?«
»Weil er so ist, wie man ihn vor vierhundert Millionen Jahren von der Erde aus hat sehen können!«
Mein Herz klopfte plötzlich zum Zerspringen, und ich spürte, wie meine Knie zitterten - denn all das machte keinen Sinn. Was Erwan mir gerade enthüllt hatte, war einfach absurd. Dass ein Objekt, so mysteriös es auch sein mochte, in der Lage wäre, einen Teil des Himmels zu projizieren, war schon schwer vorstellbar, dass dieser Himmel aber so sein sollte, wie man ihn vor fast einer halben Milliarde Jahren von der Erde aus gesehen hätte, war schlichtweg unmöglich.
»Und jetzt, Adrian, verrate mir bitte, wie du eine so perfekte Modellierung hinbekommen hast.«
Ich konnte die Frage meines Freundes Erwan nicht beantworten.
»Ich weiß, ich war für mehrere Wochen Ihr Repetitor und Schüler und sollte mich vermutlich an all das erinnern, was ich dabei gelernt habe, aber die Zeit nach unserem Misserfolg in London war zu bewegt, als dass ich wegen gewisser Erinnerungslücken ein schlechtes Gewissen haben sollte«, sagte Walter, nachdem ich ihm von Erwans Entdeckung berichtet hatte.
»Nebelflecken sind die Wiege neuer Sterne. Es handelt sich um eine diffuse Wolke aus Gas und Staub, die zwischen zwei Galaxien im Universum liegt«, antwortete ich Walter lakonisch. »Dort entstehen neue Sterne.«
Meine Gedanken waren allerdings anderswo, Tausende Kilometer von London entfernt, am östlichen Horn von Afrika, wo
sich jene Frau befand, die den eigenartigen Anhänger bei mir vergessen hatte. Die Frage, die mich beschäftigte, war, ob es sich wirklich um ein Vergessen handelte. Als ich Walter das Problem darlegte, schüttelte er den Kopf und bezeichnete mich als naiv.
Als ich mich am übernächsten Tag zur Akademie begab, hatte ich eine sonderbare Begegnung. In einem jener neuen Läden, die während meines Chileaufenthalts überall wie Pilze aus dem Boden geschossen waren, holte ich mir einen Kaffee. Egal in welchem Viertel oder welcher Straße sie sich befinden, das Dekor ist stets identisch, der Kuchen gleich, und angesichts der zahlreichen und ausgefallenen Bezeichnungen für Kaffee-und Teemischungen muss man einen Spezialkurs besucht haben, um ein solches Getränk bestellen zu können.
Während ich an der Theke auf meinen »Skinny Cap with wings« - sprich Cappuccino zum Mitnehmen - wartete, trat ein Mann auf mich zu. Er bezahlte meinen Kaffee und fragte, ob ich kurz Zeit für ihn hätte, er wolle mich in einer Angelegenheit sprechen, die mit Sicherheit meine größte Aufmerksamkeit erregen würde. Er führte mich in eine der Nischen, wo wir in zwei Clubsesseln - schlechte Kopien, aber doch recht bequem - Platz nahmen. Der Mann musterte mich eine Weile, ehe er das Wort ergriff.
»Sie arbeiten an der Academy of Sciences, nicht wahr?«
»Ja, stimmt, aber mit wem habe ich die Ehre?«
»Ich sehe Sie oft hier in der Gegend. London ist zwar eine Metropole, aber jedes Viertel ist ein Dorf, das macht ihren Charme aus.«
Ich hatte nicht den Eindruck, dem Mann schon einmal begegnet zu sein, doch ich bin bisweilen zerstreut und sah deshalb keinen Grund, an seinem Wort zu zweifeln.
»Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, unser Treffen
sei rein zufällig«, fuhr er fort. »Ich wollte schon länger mit Ihnen sprechen.«
»Das scheint ja nun zu geschehen. Was also kann ich für Sie tun?«
»Glauben Sie an das Schicksal, Adrian?«
Die Tatsache, von einem Unbekannten mit Vornamen angesprochen zu werden, hat im Allgemeinen etwas Beunruhigendes, was auch auf mich zutraf.
»Nennen Sie mich Ivory, denn ich habe mir ja auch erlaubt, Sie mit Adrian anzureden. Vielleicht habe ich jenes Privileg missbraucht, das mir mein Alter zugesteht.«
»Was wollen Sie?«
»Wir haben zwei Gemeinsamkeiten … Zum einen bin ich ebenso wie Sie Wissenschaftler. Sie haben den Vorteil, jung zu sein und Ihrer Leidenschaft noch lange Jahre frönen zu können. Ich dagegen bin ein alter Professor, der eingestaubte Bücher zum x-ten Mal liest, um sich die Zeit zu vertreiben.«
»Was haben Sie unterrichtet?«
»Astrophysik, eine Disziplin, die Sie gut kennen, nicht wahr?«
Ich nickte.
»Ihre Arbeit in Chile muss faszinierend gewesen sein. Es tut mir
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