Am Fluss des Schicksals Roman
gab. Einige Namen und Orte kannte Francesca noch aus ihrer Kindheit. Ihnen begegneten zahlreiche andere Dampfer, die zum Gruß die Pfeife ertönen ließen, und sie war so aufgeregt wie damals als Kind.
Um die Mittagszeit machten sie am Deep Creek Halt, um Holz zu laden und sich zu stärken. Dort gab es eine kleine Siedlung mit einem Gemischtwarenladen. Francesca besorgte Brote, die sie belegte und dann mit den anderen am Ufer im Schatten der Weiden verzehrte, die die Besitzer des Ladens – Sam und Viola – dort vor zehn Jahren gepflanzt hatten. Sam und Viola konnten sich an Francesca als Kind erinnern und waren außer sich vor Freude, sie wiederzusehen. Sie erzählten ihr, dass sie ihr früher bei jedem Besuch ihrer Eltern eine Tüte Lakritz geschenkt hatten, was Francesca ein Lächeln entlockte.
Knapp zwei Meilen weiter passierten sie die Sheepwash-Lagune, wo es von Vögeln wimmelte, darunter hunderte von Pelikanen.
»Wenn ich im Ruhestand bin, werde ich viel Zeit in der Lagune verbringen und angeln«, sagte Joe zu Francesca und Lizzie.
»Ein herrliches Fleckchen«, schwärmte Lizzie.
»Haben Sie schon mal geangelt?«, wollte Joe wissen.
»Nein, aber ich würde es eines Tages gern lernen.« Sehnsüchtig ließ Lizzie den Blick über die Lagune schweifen. Bestimmt würde sie diesen Tag nie erleben.
»Wenn wir heute Abend Anker gesetzt haben, bringe ich’s Ihnen bei«, sagte Joe.
Überrascht wandte Lizzie sich ihm zu. »Im Ernst?« Sie hatte ihn und Ned schon öfter angeln sehen, war aber nicht sicher gewesen, ob er die Geduld hatte, es ihr beizubringen.
»Ned und ich sind begeisterte Angler, nur Francesca hat sich nie dafür interessiert«, sagte Joe.
Francesca verzog das Gesicht. »Ich esse zwar gern Fisch, aber die Vorstellung, ihn selbst zu fangen, reizt mich nicht besonders.«
»Sie drückt sich auch davor, den Fisch abzuschuppen oder auszunehmen«, neckte Joe sie, worauf Francesca ihm eine Grimasse schnitt.
»Ich würde es sehr aufregend finden, selber einen Fisch zu fangen, und mir würde es auch nichts ausmachen, ihn auszunehmen oder abzuschuppen«, sagte Lizzie.
Joes Augen wurden größer, als hätte er soeben einen Schatz entdeckt. »Sie sind eine Frau nach meinem Geschmack, Elizabeth. Beim nächsten Halt sammle ich ein paar Würmer.«
»Ich helfe Ihnen«, entgegnete Lizzie und erfüllte ihn erneut mit Staunen.
Francesca war nicht entgangen, dass ihr Vater Lizzie neuerdings mit »Elizabeth« ansprach, während sie »Joseph« zu ihm sagte. Zuerst hatte es sie überrascht, doch sie hielt es für einen netten Zug, und Lizzie wusste es offenbar sehr zu schätzen. Francesca hatte Lizzie ein paar von ihren Kleidern gegeben, die ihr passten, und da ihre Blutergüsse und Schnittwunden allmählich verheilten und sie zudem ihren Appetit wiedergefunden und ein wenig an Gewicht zugelegt hatte, wirkte sie inzwischen wie ein anderer Mensch. Sie hatte ein nettes Gesicht und schöne Haut, weil sie wohl die meiste Zeit ihres Lebens in Häusern verbracht hatte, außerhalb der Sonne. Ihre Augen waren von einem unauffälligen Grün, aber im richtigen Licht spiegelten sie den Fluss wider. Auch wenn sie keine Schönheit war – mit ordentlich geflochtenen Haaren und einer leichten Wangenröte durch den Fahrtwindwar sie recht hübsch. Aber am meisten freute sich Francesca darüber, dass sie einen glücklichen und gelösten Eindruck machte.
Von Tag zu Tag fühlte Joe sich mehr zu Lizzie hingezogen. Während ihre sichtbaren Wunden allmählich verheilten, fand unterbewusst ebenfalls eine Veränderung statt. Mittlerweile war sie für Joe nur noch Elizabeth Ann Bolton – Lizzie Spender, eine Frau, mit der er niemals richtig Bekanntschaft geschlossen hatte, verblasste allmählich. Elizabeth war ein guter Mensch, der stets zuerst an andere dachte als an sich selbst. Das schätzte er am meisten an ihr, insbesondere, da sie zu fünft auf engstem Raum zusammenlebten. Mit ihrer großen, schlanken Gestalt ähnelte sie Mary überhaupt nicht, und Joe war froh darüber. Schließlich war er davon überzeugt, dass niemand Mary ersetzen konnte.
Zum ersten Mal im Leben fühlte Lizzie sich lebendig und frei. Wenn die Marylou Fahrt machte und ihr der Wind entgegenwehte, atmete sie tief die frische Luft ein. Das Sonnenlicht, das zwischen den Bäumen hindurchfiel und das Wasser zum Funkeln brachte, sowie die prächtige Vogelwelt boten den schönsten Anblick, den sie je erlebt hatte.
Je weiter sie flussabwärts fuhren, desto stärker
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