Am Fluss des Schicksals Roman
war, zur Marylou zu laufen, doch ihr Gefühl der Scham war größer. Stattdessen ging sie zurück auf die Ophelia und sperrte sich in einer Kajüte ein.
Als Neal kurze Zeit später zurückkam, war er bester Stimmung. Es hatte geklappt mit Gwendolyn. Er hatte ihr eine einfache, leicht verständliche Version der Wahrheit geschildert, obwohl er nicht sicher war, ob sie ihm hatte folgen können. Gwens einzige Sorge war, dass er sie weiterhin regelmäßig besuchte, wie er es ihr versprochen hatte. Jetzt musste er Francesca nur noch über Gwendolyn ins Bild setzen und ihr sagen, dass sie der Grund für seine häufigen Besuche im Bordell war.
Das Schiff machte einen verlassenen Eindruck. Laut rief Neal nach Francesca, doch sie antwortete nicht. Er nahm an, dass sie sich bereits schlafen gelegt hatte, und wollte in der Kajüte nachschauen, doch zu seiner Verwunderung war die Tür abgeschlossen.
»Francesca«, rief er erneut, ohne eine Antwort zu erhalten. »Warum ist die Tür verschlossen?«
»Was willst du?«, gab sie wütend zurück. Sie konnte nicht fassen, dass er die Frechheit besaß, zurückzukommen und so zu tun, als wäre nichts geschehen.
»Mach auf«, sagte Neal und rüttelte am Türknauf.
»Nein!«, rief Francesca und kämpfte gegen die Tränen an.
Neal war ihr Verhalten ein Rätsel. Es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, die Tür aufzubrechen, doch Francesca war ineiner so schlimmen Verfassung, dass es keinen Sinn gehabt hätte. Neal stieß einen tiefen Seufzer aus und stieg hinauf an Deck, wo er eine Flasche Wein aufmachte, die er eigens für den Abend besorgt hatte. Er trank direkt aus der Flasche. Er hätte ohnehin nicht gewusst, wie der Abend verlaufen wäre, zumal es ihm unter diesen Umständen nicht richtig schien, zu Francesca in die Koje zu steigen und Zärtlichkeiten auszutauschen. Mit diesem feindseligen Verhalten hatte er allerdings nicht gerechnet. Es würde sehr schwierig werden, das glückliche Brautpaar zu spielen, wenn sie nicht einmal fähig waren, freundschaftlich miteinander umzugehen.
Später am Abend verließ Francesca die Kajüte. Da es an Bord seit längerer Zeit mucksmäuschenstill war, vermutete sie, dass Neal sich in eine Schänke oder wieder ins Bordell verzogen hatte. Umso überraschter war sie, als sie ihn an Deck vorfand. Er war im Sitzen eingeschlafen, die Beine auf die Reling gestützt. Der Mond schien hell und tauchte die Landschaft in ein weiches, silbern schimmerndes Licht. Francesca konnte den Blick nicht von Neal wenden, der im Schlaf so unschuldig wie ein Kind wirkte. Er hatte ihr seine Liebe gestanden, und trotzdem war er nicht fähig, sein Junggesellendasein aufzugeben. Sie malte sich aus, wie es wäre, tatsächlich mit ihm verheiratet zu sein ...
Mit einem Mal schlug Neal die Augen auf und blickte sie an. Francesca hatte nicht damit gerechnet und war verlegen, weil Neal sie dabei ertappt hatte, wie sie ihn heimlich betrachtete. Dann kam er zu ihr und ergriff ihre Hand. Seine Berührung war warm und tröstend, doch Francesca wich zurück und floh in die Kajüte. Einen Augenblick später hörte Neal, wie die Tür zugeschlagen und von innen der Riegel vorgeschoben wurde.
»Wenn so das Eheleben aussieht, war meine Abneigung begründet«, sagte er zu sich selbst.Am Montagmorgen brach Francesca in aller Frühe zur Marylou auf. Ned und ihr Vater wollten sie zum Gebäude neben dem Gericht begleiten, wo sie vor der Kommission ihre Prüfung zum Schiffskapitän ablegen würde. Neal hatte Fran ebenfalls angeboten, mitzukommen, doch sie hatte abgelehnt. So hatte er ihr von Herzen Glück für die Prüfung gewünscht.
Das ganze Wochenende hatten Fran und Joe alles durchgekaut, was man für die Prüfung wissen musste. Dies hatte Francesca zugleich einen Grund geliefert, Neal aus dem Weg zu gehen, zumal ihr Verhältnis mittlerweile sehr angespannt war. Sein Stolz untersagte es ihm, sie nach dem Grund zu fragen, weshalb sie sich in der Kajüte einsperrte, während die Selbstachtung es Frannie untersagte, seinen Besuch im Bordell an ihrem Hochzeitstag zur Sprache zu bringen – mit dem Resultat, dass sie nur noch das Nötigste miteinander redeten. Am Samstag war Francesca abends gegen sechs auf die Ophelia zurückgekehrt, um Essen zu kochen, doch Neal hatte behauptet, er habe bereits gegessen. Sie war sich schrecklich dumm vorgekommen, dass sie ihm überhaupt angeboten hatte, ihm etwas zu kochen.
Am Sonntagabend dann war sie erst um acht zurückgekommen, nachdem sie zuvor
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