Am Fluss des Schicksals Roman
verzweifelte Unterton in Joes Stimme, und mit einem Mal kam ihm eine Idee. Es war seine einzige Möglichkeit, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
»Da Sie gerade von Ihrer Tochter sprechen ... sie hat gestern Abend hier gespeist. Ich muss sagen, eine reizende junge Dame.«
Als Mann verstand Joe die versteckte Bedeutung von SilasHepburns Worten, sodass es ihn größte Beherrschung kostete, Silas nicht ins Gesicht zu schlagen. »Guten Abend«, presste er hervor und verließ das Büro.
Silas starrte auf den leeren Türrahmen und tüftelte einen raffinierten Plan aus. Er nahm sich vor, am kommenden Tag als Erstes zum Pier zu gehen, um herauszufinden, auf welche Weise Joe so viel Geld verdiente. »Dem werde ich einen Riegel vorschieben«, murmelte er leise, wobei er ein Auge auf einen weitaus attraktiveren Preis als die Marylou geworfen hatte.
Francesca verließ gerade mit zwei Brotlaiben die Bäckerei auf der High Street. Da es kurz vor Ladenschluss war, hatte sie die Brote günstig erstanden. Sie war erstaunt, wie sehr die Stadt seit ihrer Kindheit gewachsen war. Es gab viel mehr Läden, Hotels und Häuser als früher, und die Zahl der Einwohner schien sich verdoppelt zu haben. Vor einer Stunde, als sie an den Auslagen vorbeiflaniert war, waren die Straßen noch überfüllt gewesen, doch mit Einbruch der Dämmerung hatten sich die Menschen nach Hause begeben, um das Abendessen zuzubereiten. Ned wollte Fisch grillen, und Francesca hatte versprochen, Brot mitzubringen.
Es wurde allmählich dunkel, und Francesca beschleunigte ihre Schritte, um zur Marylou zurückzugelangen, wo sie sicher war. Nach Einbruch der Dunkelheit trieben sich nämlich zu viele Betrunkene auf den Straßen herum. Sie beschloss, eine Abkürzung durch eine enge Gasse zu nehmen, statt den langen Weg zum Pier zurück zu marschieren, vorbei am Bridge Hotel. Es war zwar eine Abkürzung, doch Francesca wollte vermeiden, dort jemandem zu begegnen, insbesondere den betrunkenen Hafenarbeitern, sodass sie sich zuerst prüfend umschaute, um sich zu vergewissern, dass der Weg frei war. Am anderen Ende der Gasse war eineGaslaterne, die den Durchgang teilweise beleuchtete. Da sie niemanden erspähen konnte, setzte sie ihren Weg fort.
Nachdem sie die Gasse, in der Berge von Müll aufgetürmt waren, gut zur Hälfte durchquert hatte, vernahm sie plötzlich einen dumpfen Schlag und einen Schmerzensschrei, sodass sie abrupt stehen blieb. Ohne einen Mucks von sich zu geben, lauschte sie mit angehaltenem Atem. Hinter ihr war die Gasse leer, und vor sich konnte sie ebenfalls niemanden entdecken, doch ein kleines Stück weiter wurde die Gasse breiter, wodurch sich zwei Mauernischen ergaben. Im nächsten Augenblick hörte sie ein wütendes Murmeln. Jemand schien auf dem Boden aufzuschlagen. Francescas Herz begann zu hämmern. Sie presste sich an die Wand und erhaschte einen kurzen Blick auf den Rücken einer Gestalt, die um die Ecke zur Uferpromenade verschwand. Frannies erster Impuls war, zurück zur High Street zu fliehen, doch der Gedanke, ein Mensch könne in Not sein, hinderte sie daran.
Gleich darauf vernahm sie ein Schluchzen. Sie war sicher, dass es sich um eine Frau handelte, die offenbar Hilfe benötigte. Zögernd ging Francesca weiter, bis sie die Mauernische einsehen konnte. In der Ecke krümmte sich eine Frau am Boden, den Kopf gesenkt. Francesca eilte an ihre Seite.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte sie, wobei ihr die schmutzige, vulgäre Kleidung der Frau auffiel.
Überrascht hob die Frau den Kopf. Ihre Augen waren von Tränen verschleiert, sie blutete aus der Nase und den Lippen, und am linken Wangenknochen war ein violetter Bluterguss zu sehen. Francesca kramte nach einem Taschentuch und bot es ihr an.
Die Frau zögerte, sodass Francesca ihr das Tuch in die Hand drücken musste.
Francesca war bewusst, dass es sich bei der Frau um eine Prostituierte handelte, aber das machte für sie keinen Unterschied. Hier war ein Mensch in Not. Der schrecklicheZustand der Frau ließ Francesca aus Mitgefühl beinahe in Tränen ausbrechen.
»Es ... es geht schon«, sagte die Frau und senkte vor Scham wieder den Kopf.
»Das sehe ich anders. Sie bluten.«
»Das ist nichts Neues«, murmelte die Frau mit zittriger Stimme, in der ihre Verbitterung mitschwang.
»Soll ich die Polizei verständigen? Ich konnte den, der Ihnen das angetan hat, leider nicht erkennen ...«
Wieder hob die Frau den Kopf und musterte Francesca mit ungläubigem Blick. »Einer wie mir
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