Am Fluss des Schicksals Roman
plötzlich leise eine zornige Stimme.
Vor Schreck fuhr Francesca zusammen. Verärgert, aus ihren Gedanken gerissen worden zu sein, drehte sie sich um und sah, wie Neal Mason aus dem Schatten unter dem Vordach auf dem Vorderdeck auftauchte.
»Er ist ein Schnösel«, sagte Neal.
»Woher kommen Sie so plötzlich?«, gab Francesca brüsk zurück. »Haben Sie sich etwa im Dunkeln versteckt, um mir nachzuspionieren?«
»Wer ist denn nun eingebildet?«
»Wie können Sie es wagen, Monty schon wieder schlecht zu machen!«
»Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass er Sie erst an das Kleid erinnert hat, um Sie im gleichen Atemzug um ein Wiedersehen zu bitten? Der Kerl nutzt Ihre Dankbarkeit bloß aus.«
»Das ist Unsinn. Kümmern Sie sich lieber um Ihre eigenen Angelegenheiten.«
»Was soll dieses Gezeter?«, sagte Joe, der aus seiner Kajüte kam.
»Unser Kahnführer spioniert mir nach«, gab Francesca wütend zur Antwort.
»Das stimmt nicht«, widersprach Neal entschieden. »Ich konnte Sie von meinem Schlafplatz aus ja schlecht überhören.«
»Würdet ihr bitte leiser reden«, mahnte Joe. »Am besten, ihr legt euch schlafen, bevor ihr noch die Besatzungen auf den anderen Schiffen weckt. Außerdem legen wir morgen in aller Herrgottsfrühe ab.«
Francesca bedachte Neal mit einem hochnäsigen Blick, bevor sie ihrem Vater einen Gutenachtkuss gab und sich auf den Weg zu ihrer Kajüte machte.
Joe sah Neal an. »Vielleicht solltest du dich mal fragen, woher dein großes Interesse an dem Mann rührt, mit dem Francesca heute Abend essen war.«
Da Neal keine passende Bemerkung dazu einfiel, drehte er sich um und ging wieder zu seinem Schlafplatz.
Eine Stunde später war er immer noch hellwach, ohne eine Antwort auf Joes Frage gefunden zu haben.
4
R egina Radcliffe lehnte sich im ledernen Polsterstuhl in ihrer Bibliothek zurück, die ihr zugleich als Arbeitszimmer diente, und streckte ihren schmerzenden Rücken und die Schultern. Nachdem sie alleine zu Abend gegessen hatte – was nichts Ungewöhnliches war, wenn Monty sich in der Stadt aufhielt und Frederick zu müde war –, hatte sie sich an die Buchführung gesetzt.
In der Stille des weitläufigen Hauses vernahm sie das Geräusch der Eingangstür, das in dem gefliesten Foyer widerhallte. Sie warf einen Blick auf die tickende Uhr an der getäfelten Wand und stellte überrascht fast, dass es beinahe schon halb zwölf war.
Kein Wunder, dass ich völlig erschlagen bin, dachte Regina, als sie erkannte, dass sie über vier Stunden ohne Unterbrechung gearbeitet hatte. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen.
Als Monty den Lichtschein sah, der aus der Bibliothek in die Eingangshalle fiel, wusste er, wo er Regina finden würde.
»Es ist schon spät, Mutter. Warum bist du noch auf?«, fragte er, als er den Raum betrat, wobei seine Stiefel über den Parkettboden aus Jarrah-Holz knarzten.
Regina beobachtete den beschwingten Schritt ihres Sohnes und sah das Schimmern in seinen Augen. Ihre Neugier war geweckt. »Ich gehe die Monatsabrechnungen durch.«
»Und wie sieht’s aus? Schreiben wir noch schwarze Zahlen?«, meinte Monty scherzhaft.
»So gerade eben«, entgegnete Regina lächelnd. Sie liebte Montys Humor. Nun beobachtete sie ihn, wie er im Raum umherschlenderte und geistesabwesend die Bücher in den Regalen betrachtete, und ihr fiel auf, dass er in ausgesprochen guter Stimmung war, wenngleich ihn irgendetwas zu beschäftigen schien. Obwohl Monty viel Zeit mit seinem Vater verbrachte, der es genoss, sich draußen aufzuhalten, und sei es nur auf der Veranda, stand Regina ihrem einzigen Sohn sehr nahe, sodass ihr sofort jede noch so kleine Veränderung an seinem Verhalten auffiel. Deshalb wusste sie, dass er jeden Moment damit herausplatzen würde, was ihn in solch gute Stimmung versetzt hatte.
Schließlich wandte Monty sich zu ihr, und seine Augen funkelten vor Begeisterung. »Mutter, ich habe die Frau meiner Träume kennen gelernt, meine zukünftige Ehefrau. Sie ist wundervoll ...«
Regina war bestürzt. Noch nie hatte Monty von einem Mädchen als seiner zukünftigen Ehefrau gesprochen. »Und wer ist dieses Mädchen?«
»Francesca Callaghan.«
Eine steile Falte erschien auf Reginas glatter Stirn. Ungeachtet ihres Alters war sie nach wie vor eine sehr attraktive, kultivierte Dame, und viele der anderen Farmersfrauen eiferten ihr nach. Ihr guter Geschmack, ihre Kraft, ihre Entschlossenheit und ihr Geschäftssinn weckten bei vielen Frauen Neid, während die Männer
Weitere Kostenlose Bücher