Am Fluss des Schicksals Roman
helfen die nicht. Vorher lochen die mich ein wegen ...« Sie verstummte abrupt.
»Aber Ihnen kann man keinen Vorwurf machen«, entgegnete Francesca. »Sie wurden überfallen.«
Die Frau stieß ein Lachen aus, das sich jedoch wie ein unterdrücktes Schluchzen anhörte. Francesca begriff nicht. Sie sah zu, wie die Frau sich mühsam aufrappelte, und kam ihr zu Hilfe, indem sie ihren Arm stützte. Als die Frau den Zustand ihres Kleides und ihre zerrissenen Unterröcke bemerkte, schrak sie zusammen. Sie war groß und ziemlich mager, ob sie hübsch war, ließ sich bei ihrem übel zugerichteten Gesicht nicht sagen.
»Ich werde Sie nach Hause begleiten«, sagte Francesca.
Für einen kurzen Augenblick blickte die Frau erstaunt drein, bevor ihre Gesichtszüge weich wurden. »Ich komme schon zurecht. Danke für Ihre Freundlichkeit und Besorgnis, aber Sie sollten sich lieber um Ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.«
»Wer hat Ihnen das angetan?«
»Ein Freier«, sagte die Frau leise und fuhr sich mit den Fingern durch die verfilzten karottenroten Haare.
Francesca war irritiert. »Ein Freier?«
Die Frau tupfte sich die Augen und sah Francesca verwundert an. »Sie sind noch ziemlich unschuldig, nicht wahr?« IhrBlick verfinsterte sich. »Ich kann mich nicht erinnern, jemals so ein reines Herz besessen zu haben«, fügte sie bekümmert hinzu. »Aber vermutlich hatte ich es irgendwann einmal.« Sie dachte an ihre schreckliche Kindheit und an die furchtbaren Dinge, die ihrer Mutter widerfahren waren und deren Zeuge sie gewesen war, und daran, dass man sie mit zehn vergewaltigt hatte ... Nein, wie sie es auch anstellte, sie konnte sich nicht entsinnen, jemals solch eine Unschuld besessen zu haben, und diese Einsicht ließ sie erneut in Tränen ausbrechen.
»Ich ... ich glaube nicht, dass jemand das Recht hat, Sie zu schlagen«, sagte Francesca und legte ihr den Arm um die Schulter.
Die Frau schniefte. »Er hat es getan, weil er es sich erlauben kann und weil es ihm Freude bereitet. Manche Kerle fühlen sich männlicher, wenn sie Macht über eine Frau ausüben können. Es gibt sogar Männer, die nur auf diese Weise ... mit einer Frau intim werden können. Sind Sie nun schockiert?«
Entsetzt starrte Francesca die Frau an. Sie sprach aus, was ihr als Erstes in den Sinn kam. »Sie hätten dem Kerl einen Tritt an die richtige Stelle verpassen sollen.«
Die Frau lachte leise, schrie aber gleich darauf vor Schmerz, weil der Riss in ihrer Lippe weiter aufbrach. Sie hielt das Taschentuch an die Wunde und sagte: »Sie ahnen ja nicht, wie gern ich das getan hätte, aber dann könnte ich einpacken.«
»Vielleicht war es ratsam, dass Sie es nicht getan haben. Aber an Ihrer Stelle würde ich von einem Mann, der so mit Ihnen umspringt, keinen Penny nehmen. Soll er seine Männlichkeit anderswo unter Beweis stellen.«
»Wenn das Leben doch so einfach wäre«, entgegnete die Frau traurig, und Tränen rannen ihr über die schmutzigen Wangen.
»Das Leben besteht darin, Entscheidungen zu treffen, nicht wahr? Übrigens, ich bin Francesca Callaghan.«
»Lizzie Spender.« Die Frau reichte Francesca die Hand.»Manchmal, Francesca, trifft man die falschen Entscheidungen und stellt dann fest, dass es kein Zurück gibt.«
Francesca musterte ihr geschundenes Gesicht. »Wohnen Sie hier in der Nähe?«
»Gleich da vorn.« Sie deutete auf ein zweistöckiges Haus aus Asbestzement, das ein Stück zurückgesetzt an der Ecke lag, wo die Gasse in die Uferpromenade mündete. Davor stand ein Palisadenzaun mit einem Tor, hinter dem sich ein Rasen befand, der dringend gemäht werden musste, und auch das Haus selbst machte keinen freundlichen Eindruck. Francesca nahm an, dass es sich um ein Bordell handelte – sie hatte schon öfter das ständige Kommen und Gehen der Hafenarbeiter beobachtet. Die Begegnung mit Lizzie zeigte ihr mehr als deutlich, dass dieses Haus ein Ort des Elends war, was das Gebäude noch trostloser, wenn nicht sogar unheilvoll aussehen ließ.
»Haben Sie dort jemanden, der sich um Sie kümmert?«
Lizzie sah zu dem Haus. »Es ist zwar kein richtiges Zuhause, aber zu etwas Besserem werde ich es wohl nicht bringen. Ja, wir sind insgesamt fünf verlorene Seelen. Außerdem haben wir dort eine Frau, die uns beim Waschen und Kochen hilft.«
Francesca und Lizzie setzten sich in Bewegung.
»Sie sind sehr freundlich zu mir, Francesca«, brachte Lizzie verlegen hervor, die aus Erfahrung wusste, dass die meisten der ehrenwerten Bürger einem
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