Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
in der das schwerste Verbrechen darin besteht, dass Hausangestellte Tafelsilber stehlen, zahlt Höflichkeit sich aus. Wirtschaftsvergehen, wie sie von den dort aussässigen Hedgefonds-Königen, den Hypotheken-Bankern und Derivatenhändlern täglich begangen werden, lässt die Stadt nicht polizeilich untersuchen. Sie sind ihr Lebensnerv.
Hochstadts Arbeitsplatz war in einer Ecke des größeren Schlafzimmers untergebracht. Außer einem Flachbildschirm und einer Tastatur befand sich auf dem Schreibtisch nichts. Ein paar graue Plastik-Schubfächer und ein ergonomischer Kniestuhl auf Rollen vervollständigten das Ensemble.
»Was ist denn das?«, fragte Brady. »Sieht aus wie so ein Lauflerndings für Kleinkinder.«
»Ein Stuhl«, erklärte ich. »Man kniet darauf. Soll gut für den Rücken sein, heißt es.«
»Davon würde ich Rückenschmerzen kriegen«, erwiderte er, »wenn ich nicht schon welche hätte.« Er zog den Tisch zum Bett hinüber und setzte sich dort hin.
Ich ging die Schubladen durch. Steuerbescheide, ein Hefter mit diversen Papieren vom Anwalt zu den Scheidungsmodalitäten und eine Mappe mit ausgedruckten E-Mails von seiner Tochter. Kein Geheimnis. Immerhin – es gab eine Zigarrenkiste voller 4-Gigabyte-USB-Sticks.
»Und?«, fragte ich.
Brady zog ein langes Gesicht. »Nada. Nichts ist passwortgeschützt – aber was nützt das? Die Ordner sind alle leer.«
»Was ist mit dem Papierkorb?«
»Hab ich gecheckt.«
»Probieren Sie’s hiermit.« Ich schob den Stuhl ans Bett und kniete mich neben ihn, während er den ersten Stick einstöpselte.
Eine Tabelle erschien auf dem Schirm. Daten. Abschlüsse. Sicherheiten. Summen. Preise in verschiedenen Währungen. Und die jeweilige Gegenpartei. Brady scrollte nach unten. Zahlen glitten an uns vorbei. Auf dem Stick waren Handelsprotokolle aus einem Zeitraum von vier Monaten im Jahr 2004 gespeichert. Ein Dutzend, zwanzig, manchmal auch hundert Trades pro Tag. Selbst während seiner Londoner Zeit war Geoffrey Hochstadt sehr beschäftigt gewesen.
»Ich muss kurz mit Maloney telefonieren«, sagte Brady.
»Tun Sie das. Ich schau mir das hier weiter an.« Er stand auf, und ich drehte den Monitor etwas mehr zu mir hin. Dann schob ich den nächsten Stick in die Buchse. Die letzten vier Monate des Jahres 2007. Der nächste. Und noch einer. Das Einzige, was verdächtigerweise in den Daten fehlte, waren die Namen der Händler in den jeweiligen Firmen. So gut wie jede große Bank tauchte irgendwann einmal auf. Es war deutlich zu sehen, dass innerhalb eines Zeitraums von etwa zwei Jahren der Großteil des Geschäfts von London nach New York verlagert worden war, wobei regelmäßig auch Player in Singapur, Chicago, Zürich, Los Angeles, Frankfurtund Hongkong auftauchten. Ich versuchte, Muster zu erkennen. Es waren zu viele Daten – eine überwältigende Flut.
»Das ist Arbeit für Monate. Jemand muss das durchgehen und jeden einzelnen Abschluss prüfen.«
Dann würden die einzelnen Händler identifiziert werden müssen, und von denen hatten im Laufe der Jahre sicher viele den Job gewechselt – oder handelten nicht mehr mit dem gleichen Produkt.
»Gut möglich, dass mehrere hundert Händler in die Sache verwickelt sind«, fuhr ich fort. »Damit werdet ihr noch die nächsten zehn Jahre beschäftigt sein.«
»Und das ist auch gut so«, sagte Brady. »Sichert unseren Arbeitsplatz.«
Ich machte weiter, bis ich alle Sticks in eine chronologische Reihenfolge gebracht hatte. Die ältesten Daten reichten fast zehn Jahre zurück, die jüngsten waren gerade eine Woche alt. Einen Stick gab es, den ich nicht verstand. Er war in abgegriffenes Silberpapier gewickelt. Die Dateien darauf enthielten ausschließlich Zahlen- und Buchstabenkolonnen. Den legte ich beiseite.
Muster. Zunächst zeigten sie sich nur langsam, aber dann stürzten sie geradezu auf mich ein. Abschlüsse mit einer bestimmten Gegenpartei waren oft noch im Laufe des Tages – oder der Woche – mit derselben Bank wieder aufgehoben worden. Oder Abschlüsse mit zwei separaten Gegenparteien entpupptensichalsspiegelbildlichundglichensichgegenseitig aus. Das waren keine Zufälle, sondern immer abgesprochene Vorgänge. Bei jedem Abschluss, den er mit der Anleihenabteilung von Rothkamp in Amsterdam getätigt hatte, hatte er pro Million 1000 Dollar kassiert. Jedes Mal. Ausnahmslos. Drei Jahre lang. Unmöglich. Aber je länger ich auf den Bildschirm starrte, desto offensichtlicher wurde es – Hochstadt hatte seine Frau
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