Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
Straßenseite«, sagte ich. Das Ansonia war noch da.
Das P&G auch.
Ich winkte ihnen nach und ging nach Hause.
Die Tür war nicht abgeschlossen. Ich trat ein, sah mich kurz um und rief den Portier an, um ihm zu sagen, dass er die Polizei rufen sollte. Dann wählte ich noch einmal Bradys Nummer.
»In meine Wohnung ist eingebrochen worden. Sie ist ein einziger Müllhaufen. Hier ist alles durchwühlt worden. Alles! Sie haben das Kindermüsli auf den Boden gekippt! Sie haben die Toilette auseinandergenommen!«
Mein Laptop war offen. Jemand hatte sich meine Dateien angesehen. Der Stapel Autismus-Bücher hatte sich in einenArchipel verwandelt, Inseln hier und da auf dem Fußboden, umspült von einem Meer aus Pasta, Haferflocken, Teebeuteln und dem einsamen Glas Erdnussbutter. Im Gefängnis Ray Brook hatten die Wachen regelmäßig Durchsuchungen vorgenommen, hatten auf einer Seite des Trakts angefangen und sich in einem scheinbar rein zufallsbedingten Prozess vorwärtsgearbeitet, manche Zellen herausgepickt und andere übersprungen, wobei es im Grunde immer nur darum gegangen war, uns daran zu erinnern, dass wir als Häftlinge absolut machtlos waren, nicht in der Lage, auch nur den kleinsten privaten Raum vor Übergriffen zu schützen.
Ich fühlte mich beschmutzt. Ich hatte Angst. Und ich ahnte, dass genau das der Zweck der ganzen Aktion gewesen war.
»Was fehlt?«
»Nichts. Glaube ich.« Ich schwankte zwischen Anwandlungen überbordender Angst und kristallklarem, kaltem Durchblick; im einen Moment starr vor Schreck, im nächsten unbeeindruckt und imstande, mich auf die Einzelheiten zu konzentrieren. »Sie haben einen Laptop und nagelneues Bose-Audio-Equipment im Wert von tausend Dollar stehen lassen. Dafür haben sie ein paar tausend CDs aus den Schachteln gezerrt. Die Scheiben liegen über den ganzen Fußboden verstreut.«
»Was ist auf dem Laptop gespeichert?«
»Mein Bericht an Stockman.«
»Ihre Notizen? Irgendwas von dem Beweismaterial?«
»Nein.«
»Deswegen hat er ihn stehen lassen. Hören Sie, bleiben Sie nicht da.«
Ich rief mir das letzte Bild von Hochstadt in Erinnerung. Hervorquellende blutunterlaufene Augen starrten mich an.
»Meinen Sie, die kommen zurück?«
»Er hat nicht gefunden, was er gesucht hat. Als Maloneygestern Abend zum Arrowhead -Büro kam, hatte schon jemand anders versucht, sich da Zutritt zu verschaffen. Der Wachmann hat ihn verscheucht. Deshalb habe ich den Jungs in Greenwich gesagt, sie sollen bei Ihnen bleiben.«
»Okay, ich bin überzeugt. Bin schon weg. Gleich hier gegenüber gibt es einen Laden, wo ich bekannt bin.«
»Ich sorge dafür, dass das NYPD einen Mann bei Ihnen im Haus postiert. Bis der Mörder gefunden ist. Ich wünschte, ich könnte mehr tun.«
»Irgendwelche Neuigkeiten von meinem Kind?«
»Viel zu früh. Rufen Sie später noch mal an.«
Ich entdeckte niemanden, der mich beobachtet hätte, als ich durch den Park ging. Niemand folgte mir. Von den Leuten, die ich ansah, senkte niemand den Blick. Es war ein kalter Herbsttag mit hoch stehenden weißen Wolkenfetzen an einem blassblauen Himmel. Zwei Kinderfrauen mit schlafenden Kleinkindern in Kinderwagen musterten mich misstrauisch. Ein schöner älterer Mann mit silbriger Mähne warf den Tauben und Eichhörnchen Krumen hin, um die sie sich balgen konnten. Die Ratten würden erst kommen, wenn es dunkel war, und sich holen, was an Happen noch übrig war.
Das alles war so normal. Ich kam mir vor, als ginge ich durch die Kulissen eines Films – einer leichten Komödie, deren Figuren gern auch mal anfingen zu singen. Und ich konnte da sicher hindurchschlendern, unbedarft, immun gegen jede Gefahr. Befreit von echten Gefühlen.
Vinny studierte das Rennprogramm und machte sich Notizen, Rollie hinter dem Tresen war damit beschäftigt, seine Bestände aufzufüllen. Ich ließ mich auf einem Barhocker nieder und bestellte ein Bier.
»Du siehst nicht gut aus«, bemerkte Vinny. »Vielleicht solltest du mit einer Tasse Kaffee anfangen.«
»Hab mich schon besser gefühlt«, gab ich zurück.
»Mach ihm einen Kaffee.«
Der Kaffee war heiß und schwarz. Er schmeckte nach nichts. Mein Körper vibrierte noch von überschüssiger Energie, mein Verstand dagegen stotterte und setzte hin und wieder aus.
»Ich glaube, ich stehe unter Schock.«
»Schlechten Tag gehabt?«
»Schlechte Woche.« Schlechte Jahre. Schlechtes Jahrzehnt. Die Kaffee-Oberfläche kräuselte sich. Meine Hand zitterte. Ich hätte es gern erklärt – es
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