Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
bereits eine Flasche Sancerre geleert. Ich war noch bei meinem ersten Glas. Er winkte den Kellner heran und bestellte mehr.
Die Vertriebsleute sind nach innen die Kontakter, nach außen stehen sie den Kunden gegenüber dafür gerade, dass die Firma nach bestem Wissen und Gewissen in ihrem Interesse handelt. Die Händler dagegen wahren die Interessen der Firma. Sie definieren die Preise und jonglieren mit dem Risiko. Zusammen agieren beide Gruppen wie Ausgleichsgewichte – wie zwei Kinder auf einer Wippe. Aber die Wall Street ist ein Nullsummenspiel – es gibt immer Gewinner und Verlierer, und die Situationen, in denen die Interessen der Kunden und die der Firma übereinstimmen, sind rar. Werden Verkauf und Handel konsequent getrennt, haben die Menschen in den jeweiligen Bereichen eher die Möglichkeit, sich auf ihre konkreten Ziele zu konzentrieren. Natürlichhaben im Wesentlichen alle dasselbe Ziel: in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld zu machen. Deshalb ist das System alles andere als perfekt. Ein Kind hüpft immer von der Wippe herunter.
»Gibt es da nicht manchmal Kompetenzgerangel? Wer klärt Unstimmigkeiten über einzelne Abschlüsse? Wer ist verantwortlich dafür, dass alles im Rahmen bleibt? Wer managt das ganze ›Er hat das gesagt – und er das‹?«
»Das liegt letztlich natürlich in der Verantwortung des Vertriebs, aber die Kunden sind ja alles erwachsene Leute. Erfahren, clever, bewährt.«
»Also läuft es so, dass der Kunde und der Händler sich abstimmen, der Händler aktiv wird und dann den Zuständigen im Vertrieb informiert.«
»Im Großen und Ganzen läuft es so, ja.«
»Was machen sie, wenn etwas total ins Auge geht?«
»Wie gesagt, sie sind erwachsen. Solche Dinge regeln sie untereinander. Dass ich hinzugezogen werde, um in einer Meinungsverschiedenheit zu vermitteln, ist selten.«
Wie denn auch, dachte ich, wenn du immer drei Stunden zum Mittagessen unterwegs bist?
Das Ganze hörte sich so an, als hätte da ein hohes Maß an Vertrauensvorschuss und Verantwortung auf den Schultern eines sehr jungen Traders gelastet. Es hörte sich an, als müsse die Versuchung, hier und da eine kleine Abkürzung auszuprobieren, übermächtig gewesen sein.
Der Hauptgang wurde serviert, und während der folgenden Minuten waren meine gefängnisgeschädigten Sinne überwältigt von dem gebratenen Seeteufel in Rotwein-Brandy-Sauce. Toland schluckte sich durch seine zweite Flasche Wein.
»Wenn Sie wollen, können wir Sie mit einigen dieser Kunden zusammenbringen. Wenn Sie mit denen reden, könnenSie sich von dieser Art von Geschäft vielleicht ein genaueres Bild machen.«
Ich hüstelte höflich. »Tut mir leid, aber das wird nicht gehen. Direkter Kundenkontakt könnte mich in Schwierigkeiten bringen. Ich bin auf das angewiesen, was ich von Ihren Leuten im Vertrieb in Erfahrung bringen kann.«
Sein Fauxpas war ihm sichtlich peinlich – Stockman hatte ihm meine Situation mit Sicherheit erklärt. Er griff nach seinem Glas und nahm einen großen Schluck.
Ich aß.
»Ja, sicher, selbstverständlich«, murmelte er schließlich. »Ich kümmere mich gleich morgen früh darum.«
»Keine Chance, dass ich heute noch anfangen kann?«
»Fürchte, nein. Ich hab gleich nach dem Essen hier in der Gegend noch ein Kundengespräch. Sie nehmen den Wagen. Der Fahrer bringt Sie zurück ins Büro.«
Das wird hart, jetzt noch ein Kundengespräch, dachte ich. Der Pegel der zweiten Flasche war bereits unter das Etikett gesunken. Sein Gesicht war gerötet, sein Blick trübe. Ich wäre in diesem Zustand auf direktem Weg nach Hause und ins Bett gegangen.
Draußen vor der Tür schüttelten wir einander die Hand, als wären wir gute Freunde.
Ich kletterte in den Fond und sah ihm nach, wie er sich in Richtung Broadway vorwärts arbeitete.
»Läuft das immer so bei ihm?«, fragte ich den Fahrer.
»Ich fahre ihn immer«, sagte er, als wäre meine Frage damit beantwortet.
Als wir in den Broadway einbogen, sah ich Toland einen Block weiter mit gesenktem Kopf und krummen Schultern in einem Eingang stehen. Flash Dancers – einer der vielen Herrenclubs in New York. Eine auf edel getrimmte Strip-Bar, weiter nichts. Konnte schon sein, dass er dort einenKunden traf – Geschäfte werden viel häufiger bei einem Cocktail ausgehandelt als am Telefon –, vielleicht war er aber auch nur ein im Schlamm wühlendes niederes Lebewesen.
Als ich zu Weld zurückkam, war es schon nach drei. Gwendolyn hatte mir ein winziges
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