Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
Besprechungszimmer als Büro hergerichtet. Es war kleiner als meine Zelle in Ray Brook. Ein mickriger runder Tisch mit vier Stühlen stand darin, dazu gab es einen Beistelltisch mit Telefon und Computerterminal. Kein Fenster, keine Kunst an den Wänden und keine Uhr, dafür aber der Luftstrom einer hyperaktiven Klimaanlage, der mich zu finden schien, wo auch immer in dem Raum ich mich aufhielt. Obwohl ich die Tür offen ließ, hatte ich, sobald ich mich hinsetzte, das Gefühl, die kalten grauen Wände kämen auf mich zugekrochen. Ich behielt das Jackett an.
Hätte ich noch lange allein dagesessen, hätte ich angefangen zu schreien, aber bevor das passieren konnte, betrat ein ernst dreinschauender junger Mann mit zwei Kisten voller Papiere den Raum.
»Hat Stockman Sie geschickt?«
»Nein. Mr. Barilla hat mich angewiesen, Ihnen zu helfen.«
Er war ganz offensichtlich kein Trader – sein Krawattenknoten saß stramm, die Manschetten waren ordentlich geschlossen, und in seinem Auftreten lag keinerlei Gehabe. »Sind Sie der Assistent? Haben Sie für Brian Sanders gearbeitet?«
»Zeitweise. Es ist hier so geregelt, dass wir innerhalb der Gruppe immer wieder wechseln.«
»Für wen arbeiten Sie im Moment?«
»Derzeit bin ich niemandem zugeteilt. Ich springe ein, wo jemand fehlt.« Er wirkte eher eifrig als effizient. Jung war er, eben erst fertig mit dem Studium, nahm ich an. Sein dunkles Haar war für die Wall Street ein bisschen zu starkgegelt, seine Schuhe sahen vor allem modisch aus und nicht so sehr teuer.
»Prima. Dann sind Sie jetzt mir zugeteilt. Setzen Sie sich. Wissen Sie, wer ich bin?«
»Nein. Ich nehme an, Sie arbeiten für Mr. Stockman.«
»Jason Stafford«, stellte ich mich vor. Er konnte mit dem Namen nichts anfangen. Zur Zeit meines Ruhms war er noch viel zu sehr mit BeerPong und anderen Trinkspielen beschäftigt gewesen, um meine Geschichte in der Zeitung zu verfolgen. »Er hat mich engagiert, damit ich mir Sanders’ Transaktionen einmal anschaue. Ich berichte ausschließlich an ihn.«
»Okay.« Er schien weder erfreut noch enttäuscht. Noch misstrauisch.
»Was halten Sie davon?« Ich stellte fest, dass die Wände, solange ich mich auf den jungen Mann und meine Aufgabe konzentrierte, besser parierten und den gebotenen Abstand wahrten.
Er zögerte. »Wovon?«
»Davon, dass hier jemand die Nase in Sanders’ Unterlagen steckt.«
Er zuckte die Achseln. »Er konnte sehr geheimniskrämerisch tun. Ich weiß nicht. Wir werden sehen, nehme ich an.«
»Das werden wir«, erwiderte ich. »Was waren das für Geheimnisse?«
Nun überlegte er einen Moment. Es war offenkundig, dass er eine Antwort auf der Zunge hatte, doch er verkniff sie sich. Und als er schließlich redete, hatte ich das Gefühl, er erzählte mir das, wovon er meinte, dass ich es hören wollte.
»Na ja, viele Händler erzählen gern von ihren Aktionen auf dem Markt. Ein bisschen angeberisch eben, obwohl sie es gar nicht so meinen. Das hat Brian nie gemacht. Selbst wennich ihn gezielt nach etwas gefragt habe, bekam ich bestenfalls eine halbe Antwort.«
»Und sonst?« Mit irgendetwas hielt er hinter dem Berg. »Es kommt sowieso alles ans Licht. Also besser früher als später.«
»Das andere war gar kein Geheimnis, schätze ich.«
»Welches andere?«
»Brian war ein Jäger. Ständig auf der Pirsch. Manchmal hatte er Schwierigkeiten, die Mädchen alle auseinanderzuhalten.«
Ach so. »Ein Schürzenjäger.«
»Genau.«
Ich war, nachdem ich in der Elementary School zwei Jahre übersprungen und mich davon in sozialer Hinsicht nie ganz erholt hatte, am Ende meiner Highschool-Zeit noch Jungfrau. Meine Einweihung in die Mysterien des Fleisches erfuhr ich gegen Ende meines zweiten Jahres an der Cornell University durch Megan Albright. Wir hatten ein paar kurze Begegnungen, deren Hauptzweck – soweit ich ihren Monologen zu dem Thema entnehmen konnte – darin bestand, im Herzen eines älteren Kommilitonen, der ihre Annäherungsversuche nicht gewürdigt hatte, Eifersucht zu wecken. Und obwohl ich während der Jahre, bevor ich von Angie in einen Zustand andauernder lechzender Begierde versetzt wurde, keineswegs zölibatär gelebt habe, war ich doch nie ein Schürzenjäger.
Nicht einer, sondern gleich mehreren Frauen zur gleichen Zeit nachzustellen erschien mir mit all den terminlichen und emotionalen Jonglierereien, die damit verbunden sein mussten, weitaus stressiger als der Job. Ich verfügte durchaus über die erforderlichen
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