Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
machen wir später, kleiner Mann. Wir müssen uns beeilen.«
Er jaulte und knirschte mit den Zähnen. Es hörte sich so unheimlich an, dass ich unwillkürlich zurückzuckte.
Ich hatte die Bewährungsauflagen verletzt und währenddessen auch noch auf einen Mann eingestochen. Dafür hätte ich wieder ins Gefängnis gehen können. Eine innere Stimme sagte mir, dass das vielleicht der bequemere Weg gewesen wäre. Zugleich hoffte ich, dass Tino und Angie mir die Polizei wenigstens so lange vom Hals hielten, dass es für ein kurzes Bad reichte.
»Ich lasse das Wasser ein. Du ziehst dich aus.«
Mamma half, indem sie das nicht übernahm. »Morgen musst du es allein machen. Am besten lernst du jetzt schon mal, wie es geht.«
Immer wieder tauchte er unter und hielt die Luft an, bis ich es mit der Angst zu tun bekam, und offensichtlich hatte er dabei einen Heidenspaß.
Ich erzählte ihm, dass wir noch am selben Tag richtig fliegen würden – in einem Flugzeug. Dass ich einen Leihwagen hatte, mit dem wir zum Flughafen fahren würden.
»Avis – we try harder?«
»Nein. Das Auto ist von Enterprise.
»Bietet Wagen von Dodge und Chrysler.«
»Es ist ein Charger.«
»Der Dodge Charger.« Er lächelte nicht – er lächelte so gut wie nie –, aber ich sah ihm an, dass ihm das gefiel, dass er es aufregend fand. »Der Dodge Charger ist mit einem 2,7-Liter-V6-Motor und einem Viergang-Automatikgetriebe ausgestattet.«
Das war der erste vollständige Satz, den ich meinen Sohn sprechen hörte – der erste, der nicht als Ganzes aus einem Werbespot übernommen war.
»Ich wette, du hast recht. Und jetzt stell dich hin, damit ich dich abtrocknen kann.«
Er sank erneut unter die Oberfläche.
Ich wartete. Bläschen stiegen auf und platzten. Gerade als ich die Geduld verlor und beschloss, ihn hochzuholen, koste es, was es wolle, setzte er sich auf.
»Der SRT8 hat einen 425-PS-V8-Motor, die stärkste Maschine, die zu der Zeit in den USA gebaut worden ist ...«
Er hörte nicht wieder auf. Die Geschichte des Dodge Charger beschrieb er ebenso wie die technischen Daten des Wagens. Es gelang mir nicht, ihn zu stoppen – oder auch nur aus dem Wasser zu kriegen. Nach einer Weile war er gar nicht mehr heiser, klang seine Stimme nicht mehr kratzig, sondern ähnelte dem zuckersirupsüßen Tonfall seiner Großmutter.
»Weiß überhaupt irgendwer, dass er so sprechen kann, Mamma?«
»Wenn es um Autos geht, kann er dir ein Ohr abkauen.« Sie hob ihn kurzerhand aus der Wanne und wickelte ihn, bevor er eine Chance hatte zu protestieren, fest in ein Badetuch. »Glatte Handtücher mag er nicht. Du musst ihm dicke, weiche kaufen. Die, die ich dahabe, packe ich dir ein. Und versuch nicht, ihm die Haare zu bürsten – er glaubt, die Bürste stiehlt ihm Haare. Lass sie einfach so trocknen. Wenn sie irgendwann geschnitten werden müssen, ruf Tino an, derhilft dir dabei. Tino hat so seine Tricks, wie er ihn dazu bekommt. Der Junge glaubt, dass es den Haaren wehtut, wenn sie geschnitten werden.«
»Er hat gesprochen.« Ich war noch immer voller Bewunderung.
Sie bedachte mich mit einem grimmigen Blick. »Über Autos.« Dann zog sie ihn an. Blaue Shorts, blaues T-Shirt – von genau der gleichen Art, wie er sie schon vor dem Baden angehabt hatte. »Heute ist ja Montag«, sagte sie. »Montags trägt er nur Blau.«
Mir wurde mulmig. Ich wusste praktisch nichts. Wie konnte ein so kleiner Mensch so viele Regeln haben?
»Pass auf, Jason, wenn du es so machst, kommst du zurecht: Hör ihm genau zu. Gib ihm die Möglichkeit, dir zu sagen, was er braucht, und es wird funktionieren.« Sie begleitete uns noch nach unten, auf die Veranda, und hockte sich auf die unterste Stufe, um dem Kleinen Lebewohl zu sagen. Dass sie ihn liebte. Dass er ihr fehlen würde. Dass er, wenn er das wollte, jederzeit zurückkommen und bei ihr bleiben konnte.
Kid beantwortete diesen Schwall von Liebe mit einem kurzen »Okay,«, wandte sich ab und ging die Auffahrt hinunter.
Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange und beeilte mich hinterherzukommen.
Während der gesamten Fahrt nach New Orleans redete er über den Dodge Charger. Als er anfing, sich zu wiederholen, wies ich ihn vorsichtig darauf hin, doch das bewirkte gar nichts. Dieses technische Zeug interessierte mich nicht, also ließ ich ihn einfach plappern. Er war glücklich dabei, und ich hatte genug, worüber ich mir Gedanken machen konnte.
Mit Arroganz, Trotz und Wut allein würde ich mein Kindnicht großziehen können.
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