Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
jemand anders hatte empfinden können, hatten zur Folge, dass ich meinen Sohn umso mehr liebte, nicht weniger.
Bis zu einem gewissen Grad war ich der Meinung, dass ich ein solches Glück noch nicht verdiente.
Kid gab ein kleines Schnorcheln von sich, halb schnappte er nach Luft, halb schnüffelte er, und dann drehte er den Kopf so, dass sein Gesicht in dem schwachen Lichtschein lag, der von der Straße hereinfiel.
Hier war die Buße für all meine Sünden. Seine Arme und Beine waren verdreht, nachdem er die Decke weggestrampelt hatte; in seinem Gesicht schimmerte die Schönheit seiner Mutter, höchstens der kleine Speichelfaden an seiner Lippe störte das Bild, aber auch der hätte, wenn ich es genau bedachte, unter den richtigen Umständen von seiner Mutter gespiegelt werden können.
Und für die wenigen guten Taten, die ich vollbracht haben mochte, gab es eine wunderbare Belohnung. Meine Rettung.
Dieses Gefühl, dieses Glühen, war am Morgen verschwunden. Da türmten sich die Leichen.
10
Spud war verkatert. Die meisten Leute an der Wall Street – jedenfalls die meisten bis zu einer bestimmten Altersgrenze, die ich längst überschritten hatte – waren verkatert. Es war Freitagmorgen, da gehörte das ins Bild.
Ich hatte für dieses allwöchentliche Donnerstagsbacchanal schon die verschiedensten Erklärungen gehört. Fast alle bezogen sich auf das von Tag zu Tag wechselnde Migrationsverhalten der Pendler – der Vorortzug-Gemeinde –, aber ich fand am glaubwürdigsten eine, die viel schlichter war, menschlicher.
Als an den Colleges der Freitagsunterricht mehr oder weniger abgeschafft wurde, quittierten die Studenten das damit, dass sie dem Wochenende einen vollen dritten Tag hinzufügten, und dieses Ritual nahmen sie später in ihr Berufsleben mit. Welches auch immer der wahre Grund ist – die Allgemeinheit sollte sich darüber im Klaren sein, dass regelmäßig freitags morgens schwerwiegende monetäre Entscheidungen von Leuten getroffen werden, deren Hirn und Nervensystem noch unter den Auswirkungen der letzten Vier-Uhr-morgens-Runde Jägermeister leiden.
»Was haben Sie für mich?« Ich begrüßte ihn aufgeräumt. Wenn ich schwer verkatert gewesen war, hatte ich aufgeräumte Begrüßungen gehasst.
Er sah mich aus rot geränderten Augen an; sein Atem hatte eine Note von schalem Bier und Tequila.
»Ich habe mich gestern Abend mit Lowell Barrington getroffen.«
Das war der OCT-Aktien-Händler. Er stand für den frühen Nachmittag in meinem Kalender.
»Er hat mir ein paar Biere ausgegeben«, fuhr er fort.
»Und?«
»Er wollte wissen, was Sie wissen.«
»Was haben Sie gesagt?«
»Die Wahrheit. Dass da vielleicht was ist, vielleicht aber auch nicht. Dass es vielleicht mit Arrowhead zu tun hat. Vielleicht aber auch nicht.«
»Wie hat er das aufgenommen?«
»Er ist von Bier zu Scotch übergegangen. Ich glaube, er hat einen Riesenschiss.«
»Sonst noch was?«
»Irgendwas hat er gesagt, dass er mit seinem Vater reden muss. Zu dem Zeitpunkt war er schon ein bisschen lallig. Ich hab nicht genau verstanden, was er gemeint hat.«
»Okay, das werden wir schon rauskriegen. Und sonst, wie sieht’s mit den Arrowhead -Trades aus?«
»Ich kann kein Muster erkennen.«
»Machen Sie weiter. Halten Sie die Augen offen. Ich bin bald wieder da. Ich muss jetzt zu Stockman.«
Gwen schenkte mir ein entschuldigendes Lächeln. Ich wartete. Ich las sämtliche Zeitungen. Gerade als ich sie alle durchhatte und von vorn anfangen wollte, kamen Barilla und Jack Avery herein.
»Worum geht es überhaupt?«, fragte Barilla.
»Keine Ahnung. Mich lässt er jetzt schon fast eine Stunde warten«, sagte ich.
Avery setzte sich auf die Couch und sah mich an, schwieg aber.
Endlich summte Gwens Telefonanlage. »Sie können jetzt alle reingehen.«
Es war mir nicht angenehm, meine Ergebnisse vor Publikum zu präsentieren. Ich hegte zwar den einen oder anderen Verdacht, konnte aber keine Fakten vorweisen. Das Einzige, was ich aus diesem Meeting mitzunehmen hoffte, war die Aussicht auf eine weitere Woche Arbeit. Wenn da allerdings mehrere Leute zusammensaßen, hatte ich das überhaupt nicht in der Hand.
Stockman stand nicht auf, bedeutete uns aber, wir sollten uns setzen. Barilla und ich entschieden uns für die beiden Stühle vor seinem Schreibtisch, Avery nahm die Couch.
»Wie ist es, Jason, haben Sie einen Bericht für uns?« Das hörte sich an wie eine Frage, aber es war keine. Es war mein Stichwort. Offensichtlich wurde
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