Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
die Sporttasche mit beiden Armen an mich presste. In manchen Gegenden ist die Grenze zwischen rassistischen Zuschreibungen und dem Beherrschen grundlegender Überlebenstechniken eben durchlässiger als in anderen.
Jedenfalls entspannte ich mich etwas, als die beiden bulligen Männer, die blaue Windjacken und Basecaps trugen und hundertpro aussahen wie Polizisten in Zivil, durch das Drehkreuz kamen. Bis mir aufging, dass sie offenbar viel eher mich im Auge hatten als die jungen Männer im dunklen Abschnitt des Bahnsteigs. Genauer gesagt strengten sie sich ein bisschen zu sehr an, mich nicht zu beachten.
Bevor ich in Schwierigkeiten geraten war, hatte mich der Anblick von Polizisten nie nervös gemacht. Jetzt tat er es grundsätzlich. Trotzdem nahm ich das bisschen Unbehaglichkeit gern in Kauf – wurde ich im Gegenzug doch eskortiert, während ich meinen eben gehobenen Schatz durch die Wildnis namens Brooklyn nach Hause trug.
An der Haltestelle Fulton Street stieg ich in die Linie 2 um. Die beiden auch. Die Wahrscheinlichkeit, dass das reiner Zufall war, musste auf der Kurve der Gaußschen Normalverteilung ganz unten links eingetragen werden. Sie saßen am anderen Ende des Wagens und schauten überallhin, nur nicht zu mir. Mir brach der Schweiß aus.
Der Ältere, Grauere und Schlankere trug Nikes und enge Jeans. Er kam mir reservierter vor, verschlossen. Der Jüngere bewegte unablässig den Kopf, schaute hierhin und dahin und schien alles mitzuschneiden. Ich wartete, bis der Zug aus dem Bahnhof rollte, stand auf und ging in den nächsten Wagen. Wenn sie mir folgten, war ich nicht neurotisch, nicht paranoid, sondern musste mir ernsthaft Sorgen machen. Sie blieben im ersten Wagen zurück und überzeugten mich aufdiese Weise davon, dass ich neurotisch und paranoid war und mir ernsthaft Sorgen machen musste.
Am Bahnhof 42. Straße stand die Bahn eine Weile und wartete auf einen Vorortzug. Ich stieg aus und blieb auf dem Bahnsteig stehen. Wann immer ich ihm den Rücken zukehrte, hatte ich das Gefühl, dass der Jüngere mich beobachtete.
Der Vorortzug kam. Ich stieg ein, drehte mich um und starrte zu den beiden hinüber, um zu sehen, ob sie mir folgten. Sie ignorierten mich. Die Türen schlossen sich, und beide Züge rollten gleichzeitig aus dem Bahnhof und in Richtung Uptown.
Als der Vorortzug in die Haltestelle Lincoln Center einfuhr, lachte ich über meine paranoiden Fantasien. Die beiden Männer mit den Caps hatten sich kein bisschen für mich interessiert. Es war einfach einer unter den vielen Zufällen gewesen, die in New York – einer Stadt, die allen Wahrscheinlichkeiten trotzte – an der Tagesordnung waren.
Als ich aber an der Haltestelle 72. Straße ankam, stieg ich trotzdem in Eile aus und rannte die Treppe hinauf. Erst oben drehte ich mich noch einmal um, um mich zu vergewissern, dass mir niemand gefolgt war. Schließlich verfluchte ich mich selbst für meine Dummheit und ging nach Hause.
Es war immer noch eine Stunde Zeit, bis Kid heimkommen würde. Ich kippte den gesamten Inhalt von Sanders’ Sporttasche auf mein Bett und erlitt sofort eine neuerliche Attacke von Verfolgungswahn. Ich konnte es mir nicht leisten, mit irgendetwas aus diesem Schlamassel in Verbindung gebracht zu werden. Ich brauchte Handschuhe, damit ich keine Fingerabdrücke hinterließ.
Echte Kriminelle verfügen offenbar jederzeit über einen größeren Bestand an Gummihandschuhen von der Art, die auch die Wachen im Ray Brook benutzten, wenn sie diverseKörperöffnungen absuchten. Ich hatte noch nicht einmal Gummihandschuhe fürs Putzen im Bad. Hastig zog ich Schubladen auf und wühlte mich bis auf den Grund der Kisten, die Angie mir hingestellt hatte und die nun im einzigen vorhandenen Schrank ganz hinten lagerten. Was ich fand, war ein Paar mit Kaninchenfell gefütterte Lederhandschuhe von Oleg Cassini . Sie waren nicht für filigrane kriminelle Vorhaben gemacht, würden in diesem Fall aber genügen müssen.
Die schmutzige Wäsche stopfte ich zurück in die Tasche, die ich danach in Richtung Wohnungstür warf. Den Laptop stellte ich beiseite; ihn wollte ich mir später ansehen. Dann begann ich die Chips nach Farben zu sortieren und Stapel zu bilden. Der schwarze Stapel aus Hundert-Dollar-Chips war der größte. Eintausendfünfhundertzwanzig. Einhundertachtundfünfzig dunkelrote Chips à fünfhundert.
Einhundertzweiunddreißig blaue Zehn-Dollar-Chips. Vierunddreißig gelbe – Zwanziger. Mathematik fand bei mir ohne Nachdenken
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