Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
sich unendlich müde an. »Bis morgen dann.«
Ich legte die Autismus-Bücher beiseite und machte mich daran, meinen Bericht zu schreiben. Irgendwie musste ich einen Dreh finden, die Spekulationen der FBI-Leute erkennbar zu machen, ohne direkt zu sagen, dass sie sich fürdie Sache interessierten, oder gar, dass Sanders für sie gearbeitet hatte. Ich musste Stockman beibringen, dass zu den Untersuchungen im Trading-Bereich möglicherweise noch Ermittlungen in einem Mordfall kamen, ohne mich wie ein durchgeknallter Paranoiker anzuhören. Möglicherweise war aber auch Stockman selbst der Anführer der ganzen Verschwörung, dann war sowieso alles egal.
Drei Stunden lang starrte ich auf den Bildschirm meines Laptops und brachte nichts hervor als eine halbe Seite verquaster Sätze und heftige Kopfschmerzen.
Ein paar konkrete Beispiele würden viel besser verdeutlichen, wie der Betrug gelaufen war, als umständliche Erklärungen. Dafür aber brauchte ich Spud. Ich rief im Anleihen-Handelsraum an. Ans Telefon kam Neil Wilkinson.
»Tut mir leid, Jason. Sieht so aus, als hätten Sie ihn verpasst.« Sie hätten bereits mit den Kündigungen angefangen, erklärte er, und auf Barillas Betreiben hin sei Spud einer der Ersten gewesen, die hatten gehen müssen. »Offenbar schlagen sie diesmal eine richtig breite Schneise. Diese ständigen Bereinigungen sind so unerfreulich; das fällt mir jedes Mal schwer, besonders wenn ich sehe, wie so viel Begabung und Potenzial einfach weggeschmissen werden. Mir fallen dann immer die weiblichen Eisbären ein, die, wenn die Nahrung knapp wird, ihre Jungen fressen.«
»Ist es möglich, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen, Neil? Kann ich ihn vielleicht anrufen?« Ich hätte meinen Bericht schon irgendwie zusammengekriegt, aber ich machte mir auch Sorgen um den jungen Mann.
»Die Personalabteilung sagt, wir sollen keine persönlichen Informationen rausgeben, aber Sie könnten Gwendolyn ansprechen, im Büro von Bill Stockman. Sie könnte ihm eine Nachricht schicken und ihn bitten, sich bei Ihnen zu melden.«
18
An diesem Abend wurde es Herbst. Ein scharfer Wind kam auf, es war neblig, und ich begann mich nach etwas zu sehnen, das in New York City einen nahezu unerreichbaren Luxus darstellt: einem funktionierenden Kamin.
Kid schienen Kälte und Nebel überhaupt nichts auszumachen. Er war vollauf damit beschäftigt zu hüpfen – eine bislang undenkbare Großtat an Koordination, die er an diesem Tag in der Schule erstmals vollbracht hatte. Ich hatte Skeli angerufen – um damit anzugeben und um mich zu vergewissern, ob wir nach dem Debakel am Montagabend überhaupt noch miteinander redeten. Sie hatte viel für die Schule zu tun und keine Zeit für ein Treffen, aber immerhin hatten wir ein paar Worte gewechselt. Offenbar verstand sie, wie großartig ich es fand, dass der Junge auf einmal hüpfen konnte. Jeder kleine Entwicklungsschritt, den andere Kinder wie nebenbei vollzogen, bedeutete für ihn, eine der Hürden zu nehmen, die in einem endlosen Hindernis-Parcours vor ihm lagen. Skeli und ich hatten uns für den darauffolgenden Abend verabredet, zum Essen – und vielleicht mehr.
So hatten Kid und ich das Ereignis allein gefeiert, mit einem Ausflug zur Buchhandlung Barnes and Noble . Es war spät; wir hatten uns eine ganze Stunde Zeit gelassen und schließlich unsere Wahl getroffen – für Kid ein Buch über die Verlierermodelle der Detroit Auto Shows; Hört mich denn niemand? von Judy und Sean Barron, eine Empfehlungvon Heather; und schließlich verrückte Geschichten von Jon Scieszka, The Stinky Cheese Man , von denen Skeli gemeint hatte, dass sie dem Jungen und mir gefallen würden.
Der Broadway war wie leer gefegt; der Wetterumschwung hatte die Scharen, die sonst in den frühen Abendstunden hier unterwegs waren, verscheucht. Kräftige Böen waren durch die Betonschluchten gefahren und hatten die ersten welken Blätter von den Bäumen geweht, so dass sich auf dem Fußweg eine gefährlich glitschige Schicht gebildet hatte. Gern hätte ich den Jungen ermahnt, vorsichtig zu sein, aber ich wusste, dass er mit diesem Begriff nichts verband.
Ich klappte meinen Kragen hoch und hielt die Revers meines Jacketts zusammen wie eine Figur in einem Humphrey-Bogart-Film. Dazu hätte ich gern einen passenden Hut gehabt. Einen Filzhut? Ich war nicht sicher, ob Filz oder anderes Material – jedenfalls hätte so ein Hut mein Gesicht vor dem Regen geschützt.
Kid war mir einen halben Block voraus – das
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