Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
»Sie werden von den Detectives hören. Der Fall wird jemandem zugeteilt, und der wird Ihnen noch mal dieselben Fragen stellen müssen, damit er seinen Bericht schreiben kann. Tut mir leid, aber das ist das übliche Verfahren.«
»Und? Mein Sohn? Haben Sie ihn? Ist er hier?«
»Nein. Tut mir leid. Seine Mutter hat ihn mitgenommen.«
»Seine Mutter?« Seine Mutter war 1500 Kilometer weit weg. Skeli fiel mir ein. Sehr unwahrscheinlich.
»Sie ist aufgetaucht, als wir noch auf den Rettungswagen gewartet haben.«
Einer der Monitore piepte nervtötend. Ich riss mir die Kabel von der Brust und warf den Clip, der auf meinem Zeigefinger gesteckt hatte, quer durch den Raum.
»Nein. Unmöglich. Wer war das? Hat sie ihren Namen genannt? Wie sah sie aus?« Wieder versuchte ich, mich aufzusetzen. Jetzt ging es besser als beim ersten Versuch – ich wurde nicht ohnmächtig.
»Ganz ruhig.« Er hatte sein Notizbuch wieder hervorgeholt und blätterte darin. »Blond. Etwa eins fünfundsiebzig. Sah gut aus. Hier hab ich’s. Evangeline Oubre«, las er vor. »In ihrem Führerschein stand eine Adresse downtown. Der Junge hat sie erkannt – ist gleich zu ihr hingelaufen.«
Ich schrie. Damit kriegt man in der Notaufnahme sofort Aufmerksamkeit, aber darum ging es mir nicht. Ich schrie, weil ich sonst nichts tun konnte.
» Oh, Scheiße!!! Wie konnten Sie das zulassen, verdammt?«
Die nette Schwester war als Erste da. Gleich nach ihr tauchten ein Pfleger und das Mannweib von einer Ärztin auf. In unterschiedlichen Tonlagen und Lautstärken befahlen sie mir alle das Gleiche: Ich sollte mich hinlegen, versuchen,ruhig zu atmen, und mir helfen lassen. Sie konnten mir nicht helfen.
»Das Miststück hat mein Kind geraubt!«
Es dauerte ein paar Minuten, bis ich ihnen die Situation so erklärt hatte, dass sie verstanden.
Die beiden Polizisten berieten sich und riefen schließlich die Detectives dazu, was zur Folge hatte, dass ich eine weitere Stunde lang befragt wurde und Erklärungen abgab – und Zeit verlor. Da wurden in aller Öffentlichkeit Einzelheiten meiner gescheiterten Ehe und der eben erst abgesessenen Haftstrafe erörtert, als säßen wir in einer Nachmittags-Talkshow. Währenddessen gingen unentwegt Pflegekräfte ein und aus, eine ständig wechselnde Zuhörerschaft, die zweifellos weitererzählen würde, was sie aufgeschnappt hatte. Wie ich die Sache auch drehte und wendete, am Ende stand ich immer als Idiot da. Als möglicherweise gefährlich. Als jedenfalls nicht ehrlich.
Unmöglich. Und doch musste es Angie gewesen sein. Kein Zweifel. Die beiden Polizisten, die sie gesehen hatten, sagten, einer ihrer Arme sei eingegipst gewesen, sie habe Cowboystiefel getragen und – wie der jüngere beitragen konnte – »sehr enge« Jeans.
Das Wort »Cowboystiefel« löste einen weiteren Erinnerungssplitter. »Der Kerl, der mich getreten hat, hatte spitze Stiefel an«, sagte ich. »Vielleicht war es ihr Mann. Sie müssen nach einem großen metallicfarbenen Pick-up mit Louisiana-Kennzeichen suchen.«
Je nachdem, welche Strecke sie gefahren waren, konnte der Pick-up jetzt schon in Martinsburg, West Virginia, oder in Baltimore, Maryland, sein.
Ein Detective im braunen Anzug und mit Wyatt-Earp-Schnurrbart schien der Verantwortliche zu sein. »Vielleicht sind sie auch geflogen. Wir fragen bei den Airlines nach.«
Er kannte meinen Sohn nicht. Wer einmal mit ihm geflogen war, würde auf jeden Fall lieber quer durchs Land und wieder zurück mit dem Auto fahren, als dieses Erlebnis zu wiederholen.
»Das ist Kindesentführung, richtig? Kindesentführung durch ein Elternteil. Sie können sie suchen lassen, über so eine Durchsage in allen Sendern. Damit können Sie sie aufhalten.« Unruhig zappelte und hüpfte ich auf meiner Liege auf und ab. »Hören Sie, ich trage bei, was ich kann, aber wenn Sie nicht bald etwas unternehmen, sind die am Freitag schon in Louisiana, und diese Verrückte sperrt den Jungen wieder ein – wenn ihr durchgeknallter Ehemann sie nicht vorher schon beide windelweich geprügelt hat.«
Der Detective lockerte sich in den Schultern und zupfte an seinen Manschetten, als stünde er kurz vor seinem großen Auftritt als Wyatt Earp bei der Schießerei am O. K. Corral. »Tut mir leid, Jason. Kann ich Sie Jason nennen?«
Er ließ mir keine Zeit, Nein zu sagen.
»Ich muss hier mal etwas klarstellen. Ich verstehe, dass Sie aufgebracht und sauer sind.« Sein Ton wurde entschlossener. »Aber ich arbeite nicht für Sie.
Weitere Kostenlose Bücher