Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Fuß des träumenden Berges

Am Fuß des träumenden Berges

Titel: Am Fuß des träumenden Berges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
Vom Netzwerk:
etwa, dass ich das Kind hole?» Die Vorstellung schien ihn zu entsetzen. Er entriss ihr seine Hand und stürmte aus dem Schlafzimmer.
    Sie blieb liegen und lauschte in ihren Körper hinein. Er hatte sich wieder beruhigt. Vielleicht war es nur falscher Alarm gewesen, dachte sie. Entschlossen schlug sie die Bettdecke zurück und setzte sich auf. Sie wollte Matthew nachlaufen, damit er nicht den Arzt holte. Es ging ihr schon viel besser, obwohl ihre Knie noch etwas zitterten, als sie aufstand. Sie ging zur Tür. Draußen war alles still. Nur im Nachthemd bekleidet watschelte sie durch die Räume. In der Küche hörte sie das Lachen und leise Summen der Schwarzen, und über dem Haus sang eine Rotnackenlerche ihr süßes Lied.
    Audrey trat auf die Veranda. Ein Stalljunge brachte im Laufschritt das gesattelte Pferd für Matthew. Er griff die Zügel und schwang sich in den Sattel. Sie wusste, in der Nacht hatte es noch einmal heftig geregnet, und die Straßen waren vermutlich knöcheltiefe Schlammpisten
    «Du brauchst nicht loszureiten, es geht mir wieder gut», sagte sie.
    «Geh wieder ins Haus, leg dich hin.» Matthew wendete das Pferd.
    «Aber ich habe keine Schmerzen mehr, alles ist gut. War bestimmt nur …»
    Ehe sie ausreden konnte, hörte man ein lautes Platschen. Zwischen ihren Beinen bildete sich plötzlich eine Pfütze auf den Verandadielen. Sie starrte sprachlos nach unten. Mein Kind ist da, dachte sie und wusste zugleich, wie absurd dieser Gedanke war, denn ihr Kind bestand ja nicht aus dieser hellen, gelblich klaren Flüssigkeit. Sie versuchte, es einzuhalten, doch es lief immer weiter.
    Und im nächsten Moment überrollte die nächste Wehe sie mit solcher Wucht, dass sie sich an den Pfeiler neben sich klammern musste.
    «Glaubst du jetzt immer noch, du wärst nicht so weit?», fragte Matthew. Sein Lächeln wirkte … distanziert.
    Er hat Angst, erkannte Audrey entsetzt. Ihr Mann hatte Angst.
    Matthew war keiner, der sich fürchtete. Er packte an, er regelte alles – aber von der Angst ließ er sich nie übermannen.
    «Beeil dich», ächzte sie nur.
    Er nickte. «Kamau!», rief er, und sofort war Kamau neben ihr, seine Hand unter ihrem Ellbogen. «Bring sie ins Bett. Ich reite bei den Kikuyu vorbei und bitte Kinyua, ein paar Frauen zu ihr zu schicken.»
     
    Die Wehen kamen jetzt in immer kürzeren Abständen, und jede einzelne zerriss Audrey schier in der Mitte, sodass sie glaubte, nie mehr einen Schritt tun zu können. Aber sie blieb stehen, wartete die Welle ab und watschelte dann tapfer weiter. Kamau hielt sie schüchtern am Ellenbogen; zu leicht, um eine Stütze zu sein. Sie hatte das Gefühl, sie müsse nicht drei Zimmer durchqueren bis zu ihrem Bett, sondern den Mount Kenya besteigen.
    Sie saß auf der Bettkante und versuchte, die nächste Wehe irgendwie zu überstehen. Atmen, dachte sie, ich darf nicht vergessen zu atmen. Winzige schwarze und weiße Punkte tanzten vor ihren Augen, und sie fühlte sich ganz leicht, was angesichts ihres Zustands ziemlich absurd war.
    Sie schüttelte den Kopf, als Kamau ihr ins Bett helfen wollte. Die Bettkante kam ihr gerade recht.
    Das Schnattern der Kikuyufrauen und das Tapsen ihrer nackten Füße näherten sich. Sie waren laut und aufgeregt, es geschah schließlich nicht alle Tage, dass sie ins Haus des Bwana gelassen wurden.
    Als erste Frau betrat Wakiuru das Schlafzimmer. Audrey wusste, dass sie Kinyuas ältere Halbschwester war, eine kluge und umsichtige Frau, die den anderen Teepflückerinnen oft auf die Finger schaute, damit sie wirklich nur die zartesten Spitzen ernteten. Außerdem hatte sie bereits sieben eigene Kinder. Ihr ältester Sohn war seit Dezember Küchenjunge und machte sich richtig gut.
    Audrey schluchzte auf. Hätte sie sich von den Kikuyufrauen eine wünschen dürfen, die ihr zu Hilfe kam, hätte sie nach Wakiuru gefragt.
    «Memsahib?»
    «Das Kind kommt.»
    Hinter Wakiuru drängten sich drei andere Frauen ins Schlafzimmer. Audrey fragte nicht, ob sie nötig waren. Sie war einfach erleichtert, weil sie nicht länger allein war.
    Wakiuru nickte. Sie rief Kamau etwas zu, der vor der Schlafzimmertür wartete. Dann legte sie ein Bündel aus Ziegenleder auf den Fußboden und öffnete es. Sie breitete ihre Utensilien aus, hob ein Beutelchen an die Lippen und drückte es anschließend an die Stirn.
    «Du musst aufstehen, Memsahib. Laufen.»
    «Ich kann nicht aufstehen», behauptete Audrey. Aber Wakiuru half ihr auf. Die anderen drei Frauen summten

Weitere Kostenlose Bücher