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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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oder in fünf Tagen. Er kann wieder morden. Wer immer es ist, er kann es wieder tun.«
     
    Der Kanzleichef Rechtsanwalt Giorgio Calgari nahm vorsichtig die Akte mit der Bezeichnung STAUSEE MALVAGLIA aus dem Schrank. Sie war sehr voluminös und der Aktendeckel in schlechtem Zustand, und Calgari hatte keine Lust, einzelne Blätter vom Fußboden aufzusammeln. Vor allem aber roch sie faul: nach einem Morast aus zu vielen ökologischen, persönlichen, wirtschaftlichen, juristischen Konsequenzen. Ein schönes Schlamassel. Hier konnte man nur seinem strategischen Sinn vertrauen und sich einen eleganten Ausweg erarbeiten.
    Er trug die Akte in sein Büro, legte sie auf den Schreibtisch. Dann schloss er die Tür und machte sich ans Aktenstudium. Warum hatte er die Sache nicht von Anfang an in die Hand genommen? Aus übertriebener Vorsicht, wie immer. Schöne Taktik. Jetzt war aus der Angelegenheit ein Pulverfass mit brennender Lunte geworden, und an ihm war es, die Explosion in die richtige Richtung zu lenken.
    »Strategie«, sprach Calgari zu sich. »Eine elegante Strategie.«
    Zunächst galt es herauszufinden, ob überhaupt noch jemand an der Einsprache interessiert war, nachdem sich Tommaso Porta zurückgezogen hatte. Mit dem es im Übrigen ziemlich rasant bergab ging. Völlig durchgeknallt. Halluzinationen.
    Der Fall war so oder so nicht zu gewinnen, das stand jetzt schon fest. Nach der unausbleiblichen Abweisung der Beschwerde würde die Elektrizitätsgesellschaft voranpreschen und mit den Vorarbeiten beginnen - zum Beispiel den Stausee abzulassen, ohne sich groß für die Überreste der Vergangenheit zu interessieren.
    Es klopfte. Der Anwalt schloss die Akte und öffnete die Tür. Draußen stand Chico Malfanti.
    »Ah, Sie kommen wie gerufen«, begrüßte ihn Calgari. »Ich bin gerade mit der Staudamm-Sache beschäftigt.«
    »Und genau deswegen komme ich zu Ihnen«, antwortete Malfanti.
    Calgari bat ihn herein und schloss hinter ihm wieder die Tür.
    »Also, Kollege, Sie kennen ja unsere Tessiner Landsleute.«
    »Ähm …«, sagte Chico Malfanti.
    »Unsere Landsleute lieben Skandale. Schon die kleinen. Um wie viel mehr dann die großen.« Calgari faltete die Hände vor sich. »Sei es wegen des Klimas, sei’s wegen der Leidenschaft für die Politik - wenn der Tessiner auf ein Geheimnis stößt, klammert er sich daran fest wie ein Urwaldaffe an eine Liane. Und was haben wir getan?«
    »Äh … hm …«, sagte Chico Malfanti.
    »Wir haben es ihm auf einem silbernem Tablett serviert. ›Die mysteriöse Geschichte des Stausees von Malvaglia‹. Ein Detektiv dreht durch und ermordet zwei redliche Staatsbürger, die sich tatkräftig für das Gemeinwohl eingesetzt haben. Fügen Sie dem noch die Winkelzüge eines bekannten Geschäftemachers aus Chiasso hinzu, und Sie sehen: ein gefundenes Fressen für die Journaille.«
    »Sie meinen, die Presse zieht auch Finzi in die Sache hinein?«, fragte Chico. »In den Zeitungen hab ich seinen Namen nicht gelesen.«
    »Nein, sicher nicht. Finzi genießt nach wie vor einen gewissen Einfluss. Und wir wollen ihn nicht zum Feind haben. Klar, oder?«
    »Klar.«
    »Schön ist es nicht, aber so ist es.« Calgari legte die Hand auf die Akte STAUSEE MALVAGLIA. »Bald wird die Öffentlichkeit einen Sündenbock brauchen, und ich möchte nicht, dass wir dafür herhalten müssen. Was wollten Sie eigentlich mit mir besprechen?«
    »Contini bietet uns eine Zusammenarbeit an. Er will Nachforschungen über alle enteigneten Grundstücksbesitzer anstellen, und wir sollen dafür …«
    »Malfanti! Was habe ich gerade gesagt? Sie wissen, wer der Sündenbock ist?«
    Chico senkte den Blick und nickte.
    »Wir bewegen uns auf einem Minenfeld, ist Ihnen das klar?«
    »Ja.«
    »Und wollen Sie vielleicht in die Luft fliegen?«
    »Nein.«
    »Eben. Also halten wir uns raus und schauen zu und warten ab, was dieser Contini zustande bringt.«
     
    Contini blickte auf die vom Wind gekräuselte Oberfläche des Sees und stellte sich die Temperatur des Wassers vor.
    Er war in seinem Büro in Paradiso. Vor sich hatte er eine Weinflasche stehen. Seit mehr als einer Stunde saß er da und tat nichts, trank Wein und betrachtete die Sonne auf dem Fußboden, die je nach den Schatten der über den See fegenden Wolken verschwand und wieder auftauchte.
    Er dachte daran, was ihm die alte Desolina gesagt hatte. Und was sie ihm nicht gesagt hatte. Und an Giona und seinen Rat.
    Schau nach, was unter dem Spiegel ist.
    Erst als die Flasche

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