Am Haken - Ein maximalistischer Roman ueber das Leben die Liebe und den grossen Hecht
Angler auf Albert Einstein.
»Bud hat ihn geangelt …« Jerry versucht verzweifelt, zwischen Vaters Lobpreisungen und Ausführungen über geschickte Jungen zu Wort zu kommen. Aber aus Vaters Mund schießt eine wahre Flut an Feiertagsreden. Da kommt niemand dagegen an. Niemand sonst kann gehört werden.
Mein Vater eilt ins Haus, um meiner Mutter die Forelle zu zeigen, und sie jubelt, das werde das tollste Essen des Jahres!
Jerry dreht sich zu mir um und kratzt sich resigniert am Kopf. »Ich komme nicht dagegen an. Dein Vater ist taub geworden«, sagt er. »Was soll ich machen? Was soll ich sagen? Schließlich ist es ja dein Fisch.«
Ich zucke mit den Schultern und gehe zur Hauswandzurück. Registriere ohne Gefühlsregung, wie meine Mutter Jerry mit Komplimenten überschüttet. Man könnte meinen, es wäre der exklusivste Fisch der ganzen Erde, den ich da gefangen habe.
Jerry versucht wirklich, meinen Fisch zu verteidigen, versucht die Wahrheit zu sagen. Doch irgendwann gibt er auf. Stattdessen wird er zu Saft eingeladen, auf den Stuhl neben meiner Mutter gedrückt und muss eine halbe Stunde mit ihr Konversation treiben, während mein Vater den Fisch zubereitet.
Was ich tue?
Natürlich die Wand streichen.
Wo ist der Sinn, etwas anderes zu tun?
Dabei höre ich meinen Vater in der Küche herumwirtschaften, wie er die Kartoffeln in Wasserdampf gart (viel gesünder so), Gemüse für einen Salat schneidet (gesund) und den Fisch in minimalem Fett brät (gut fürs Herz, wie man sagt).
Während des Essens sitze ich schweigend am Tisch. Genieße jeden Happen. Genieße zu wissen, dass es trotz allem mein Fisch war!
Er und ich.
Er ist mir an den Haken gegangen.
Soll doch der Rest der Welt denken, was er will. Jerry wirft mir schräge Blicke zu, während meine Eltern sein Anglerglück loben, den Fisch sowieso und ihr unglaubliches Glück betonen, dass sie von jemandem wie Jerry besucht werden.
Mit der Zeit löst sich auch Jerrys Zunge und er plaudert mit.
Nach dem Essen lasse ich mich vom Wolfsjungenfeiern, der alles und alle hasst, und verschwinde zu der halb fertigen Wand.
Male eine Stunde, und es vergehen zwei Stunden.
Was ich kaum bemerke.
Auch für jemanden wie mich wird es irgendwann Abend.
Ich ziehe die Malerklamotten aus, wasche mich und lege mich ins Gras, starre all die Quadratmeter an, die ich geschafft habe, während die anderen Kaffee getrunken und über den Fisch geredet haben.
»Ja, ja, Bud«, sagt mein Vater, als er ums Haus geschlendert kommt. »Ehrgeiz und Ausdauer sind nicht gerade deine Stärken. Das muss herrlich sein. Besonders, wenn wir anderen immer dafür sorgen, dass die Karre weiterläuft.«
Dann verschwindet er wieder um die Ecke und die Welt versinkt erneut in Ruhe und Frieden. Der Wolfsjunge hat keine Lust, auf die Beleidigungen eines nackten Mannes in Sandalen zu antworten. Er schickt nur ein leises, sehr verhaltenes Geheul zum Himmel hinauf.
Nach einer Weile lässt sich Jerry neben mir nieder.
»Wie läuft es?«, fragt er.
»Das ist … äh … schon in Ordnung«, antworte ich.
»Bud …«, sagt er, nachdem er eine Weile geschwiegen hat. »Ich bin ein schlechter Freund.«
»Häh?«, wundere ich mich.
»Ich hätte sagen müssen, wie es wirklich war«, sagt er verzweifelt. »Schließlich war es dein Fisch, Bud! Ich hätte mich nicht damit schmücken dürfen. Ich bin der schlechteste Freund auf der ganzen Welt. Kannst dumir nicht einfach eine runterhauen, damit ich mich besser fühle?«
»Du hast doch … äh … wirklich versucht, es zu sagen«, erwidere ich verlegen.
Jerry lässt den Kopf hängen und sieht aus wie ein geprügelter Hund.
»Tut mir leid, dass ich so egoistisch bin«, sagt er leise.
»Meine Eltern hören ja doch nicht zu«, sage ich. »Vergiss es.«
»Ja, es scheint oft so, als würden die Worte gar nicht zu ihnen durchdringen«, seufzt er. »Die reden & reden & du kannst sagen, was du willst – beispielsweise: ›Jetzt habe ich wohl gerade einen fahren lassen‹ –, & die hören gar nicht zu.«
Jerry fällt wahrscheinlich gar nicht auf, dass er damit auch eine ganz gute Beschreibung von sich selbst gegeben hat.
»Ich … äh … ich weiß«, nicke ich und strecke mich. Schließe die Augen und lache über die Welt.
Jerry setzt zu einem seiner langen Monologe an darüber, wie schlau ich doch bin und wie schön es hier in Tipling ist und wie sehr er mich beneidet. Und nicht zuletzt darüber, was für ein schlechter Mensch
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