Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Interesse. Was wurde geklaut?«
»Silber. Ausländische Münzen.«
»So, so. Jetzt ergeben die Dinge langsam einen Sinn.«
»Ach ja?« Danach sah es für Michael nicht aus. Ihm fiel wieder Thomas’ Brief ein. »Übrigens, hattest du gesagt, der tote Quäker in Bombay war Stoffhändler?«
»Das stimmt.«
»Noch irgendwas über ihn gehört?«
Calvin schüttelte den Kopf. »Der verdammte Matrose ist verschwunden. Wahrscheinlich in den Busch. Könnte sein, dass ich Jarrah auf ihn ansetzen muss. Meinst du, da gibt’s eine Verbindung?«
»Nein. Vielleicht. Ich weiß es nicht.«
»Na, das ist überschaubar.«
Michael zog die Schultern hoch. »Nur so ein Gefühl. Aber wenn da ein Münzschwindel im Gange ist, dann hab ich vielleicht noch was anderes für dich. Aber vorher will ich lieber selber noch ein paar Nachforschungen anstellen. Mich interessieren nicht die kleinen Fälscher, sondern der Kopf des Ganzen. Übrigens, hast du irgendwelche Cape- und Orient-Schiffe im Hafen gesehen? Die Medusa , die Raven , die Empress … Mir fallen gerade keine anderen mehr ein.«
»Irgendein besonderer Grund?«
»Die Schifffahrtsgesellschaft gehört den Bankleuten der Krone.«
»Und …?«
»Die nehmen das ganze Silber vom Opiumhandel ein – sobald es auf der Kalkutta-Börse gewaschen wurde.«
»Ich kann dir nicht folgen, Michael. Was hat das Opium mit Falschmünzerei zu tun?«
»Ich bin mir noch nicht sicher, aber die Bank hat Dreck am Stecken. Schon immer. Ihr bisheriges Spezialgebiet war der Sklavenhandel. Ihre Cape- und Orient-Flotte kann von jedem Piraten gemietet werden, der zahlt. Ich wette, da kommen Cape- und Orient-Klipper mit Silber durch Sydney, das direkt in Garings gelagert wird, ohne weitere Fragen zu stellen.«
»Ich glaub, du verrennst dich da in was, Kumpel.«
Michael zuckte mit den Schultern. »Wird in nächster Zeit ein Transport erwartet?«
Calvin nickte. »Die Rajah . Müsste demnächst einlaufen.«
»Würdest du mir Bescheid sagen, ob eine Rhia Mahoney an Bord ist?«
»Passagier oder Sträfling?«
»Sträfling.«
»Eine Bekannte?«
»Meines Jungen. Ich hab da ein ganz komisches Gefühl … es gibt irgendeinen Zusammenhang, aber ich kann ihn beim besten Willen nicht erkennen.«
Calvin warf seinen glimmenden Zigarettenstummel in einen rostigen Eimer und erhob sich. »Wenn du zu was Talent hast, dann dazu, verschiedene Fäden zusammenzuführen.«
»Ich bin schließlich Weber.«
»Weber, Verleger, Seemann, Fanatiker. Was noch?«
»Ein verdammtes Genie, wenn ich hiermit recht habe.«
In den Rocks war es nun so lange ruhig gewesen, dass Michael sich fast schon fragte, ob er die Aufregung vermisste. Normalerweise lief dort immer irgendeine Gaunerei, irgendjemand war auf Geld aus. Warum sagte ihm also sein Bauch diesmal, dass es sich um etwas anderes handelte.
Er starrte die Rückseite des Gebäudes an. Das Holz war von der Sonne grau gebleicht und das Blech auf dem Dach verrostet. In der Regenrinne saß ein Sittich, wie ein Juwel im Schmutz. Vielleicht würde er doch noch nicht gleich nach Hause fahren. Zumindest nicht, bis die Rajah in Sydney angelegt hatte.
48
B ERNSTEIN
Antonia ließ den Blick über die schmalen Spalten des Geschäftsbuchs vom Juni schweifen und konzentrierte sich so gut es ging auf die Zahlen. Hunderte Meter Balzarine waren nun auf dem Weg nach New York, Amsterdam und Berlin. Noch gab es keinen französischen Käufer, aber Mr Montgomery hatte ihr versichert, dass bis zum Frühjahr auch in Paris Kleider und Umhänge aus ihrem neuen Stoff in Mode sein würden. Die perfekte Mischung aus Wolle und Baumwolle würde im Katalog jedes Tuchhändlers auftauchen, im Pears und in Sylvia’s Home Journal . »Warm genug für März, leicht genug für Mai.« Antonia atmete tief durch. Sie hatte es geschafft. Sie hatte mit mehreren Leuten darüber gesprochen, Josiahs Methode studiert und über wenig anderes nachgedacht, aber letztlich war es ihr gelungen, ihre Selbstzweifel und ihre Trauer zur Seite zu schieben. Und nun schon wieder der Tod, der sich an sie heranschlich, ihr Herz raubte, Stück für Stück. Wenigstens hatte Josiah es nicht mehr erleben müssen, seinen geliebten Laurence sowie Ryan Mahoney zu verlieren. Rhias Brief war vor drei Tagen eingetroffen, und Antonia hatte bis jetzt gebraucht, um überhaupt zu akzeptieren, dass es stimmte. Niemand wusste bisher etwas davon.
Mr Dillon würde um elf vorbeikommen. Antonia blickte zur alten Schiffsuhr über der Wandvertäfelung.
Weitere Kostenlose Bücher