Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
nicht dass sie das Negativ gestohlen hatte – dass sie es ihrer Mutter hatte zeigen wollen, damit sie ihn identifizierte und der ganzen Welt sagen konnte, dass er ein böser Mann war.
»Es hat mit meinem Vater zu tun.«
»Er ist gestorben, nicht wahr, bei einer Art Streit?« Mrs Blakes Stimme war so sanft, dass Juliette sich noch elender fühlte.
»Ich war noch klein, sieben oder acht. Ein junger Mann, der sich John Hannam nannte, kam zu uns, um bei uns am Webstuhl seine Lehre zu machen. Er war von der stillen Sorte, hat nie viel gesagt, aber er wusste, wie man schön redet. Vater hat gesagt, er lernt schnell und ist geschickt. Er hat nachts in der Scheune geschlafen und den ganzen Tag gearbeitet. Wann immer er einen Tag freihatte, ging er in die Stadt, mit Flausen im Kopf.«
Sie hörten ihr beide stumm zu. Mr Dillon betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen, als hielte er das, was sie erzählte, für wichtig.
»Dann hat Vater ein Bündel Geldscheine hinter der Scheune gefunden und John Hannam danach gefragt. Und Vater hat gesagt, er will keinen Dieb in seinem Haus haben. John Hannam wurde böse, hat gesagt, das sei seine Sache.« Die Erinnerung ließ sie immer noch frösteln und machte ihr angst. Es war, als befände sie sich wieder in ihrem kleinen Cottage an jenem Tag, als alles sich zum Schlechten wandte. »Er nahm den Schürhaken und schlug Vater damit über den Kopf. Dann hat er den Haken wütend weggeworfen, so dass er halb im Feuer landete. Ich war auch da, hinter dem Webstuhl, aber sie haben mich nicht gesehen. John Hannam ging weg, einfach so. Ich bin zum Fenster gerannt, um sicherzugehen, dass er fort war. Doch er ist nur in die Scheune gegangen und kam mit einer Pistole wieder heraus. Vater konnte nicht aufstehen. Ich habe den Schürhaken genommen und hinter der Tür gewartet. Als John Hannam reinkam, habe ich ihm auf den Unterarm geschlagen. Zweimal. Das gab ein schwarzes Mal, wie ein Brandzeichen, in der Form eines V. Es muss eine Narbe geblieben sein. Er hat meinen Vater erschossen und dann mich angeschaut, als würde er überlegen, ob er mich auch umbringen soll. Ich wünschte, er hätte es.«
Mrs Blake hatte die Hand vor den Mund geschlagen. Der Waliser betrachtete sie aufmerksam.
»Und John Hannam wurde nie verhaftet?«, fragte er.
»Nein, Sir. Er kam aus einem anderen Land. Die Polizei hat nach ein paar Tagen aufgehört nach ihm zu suchen, wie das meistens passiert. Aber Mutter hat nie aufgegeben. Sie ist in alle Webertavernen gegangen und hat schließlich rausgefunden, dass John Hannam einen Freund hatte, mit dem er immer getrunken hat und der schön schreiben konnte. Wir haben später rausgefunden, dass die beiden irgendeinen Schwindel mit Banknoten am Laufen hatten. Ich bin mir nicht sicher, was genau sie da gedreht haben. Der Wachtmeister meinte, solche Leute hätten für jeden Wochentag einen anderen Namen, und dass Hannam wahrscheinlich gar nicht sein richtiger Name war.«
»Und warum dachten sie, dass ein Mann wie John Hannam eine Lehre als Weber machen wollte?«
»Sie haben gesagt – also die Polizei –, dass er vielleicht aus persönlichen Gründen das Handwerk lernen wollte, oder dass er vielleicht nur seriös wirken wollte.«
Mr Dillon nickte, als ergebe das durchaus einen Sinn. »Deine Mutter wurde deportiert, nicht wahr?«
Juliette nickte. Er glaubte bestimmt, dass sie log, weil ihre Mutter eine Diebin war.
Mrs Blake stand auf. »Der Tee wird jetzt gezogen sein«, flüsterte sie, als sei das die wichtigste Sache auf der Welt.
Juliette sprang auf, kippte dabei aber fast um. Mrs Blake drückte sie nachdrücklich wieder hinunter.
»Ich hole die Teekanne schon selbst. Ich muss nachdenken.«
Als sie gegangen war, betrachtete Mr Dillon Juliette immer noch mit diesen schwarzen Augen.
»Gibt es noch etwas, was Mrs Blake lieber nicht wissen soll?«
»Ja, Sir. Ich glaube es zumindest. Ich bin mir nicht sicher, deshalb kann ich nichts sagen.«
»Dass …?«
»Dass einer von ihnen meinen Vater umgebracht hat.«
»Einer von wem?«
Er würde sie dazu zwingen, es zu sagen. »Einer von den Männern in dem Bild, in dem Negativ . Meine Mutter würde es wissen, wenn sie ihn sieht. Sie würde ihn wiedererkennen. Ich war zu jung, um mich genau zu erinnern.«
Er nickte. »Dann hast du das Negativ genommen? Weil du glaubst, dass einer der Männer in dem Bild Hannam ist? Aber wie hast du es auf das Schiff gebracht?«
»Margaret.«
»Margaret?«
»Ich besuche mit Mrs Blake die
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