Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
ihre Träume. Dieses Unterfangen hatte sie fester zusammengeschweißt als alles andere, trotz des Gezankes, und Rhia hatte zum ersten Mal das Gefühl dazuzugehören.
Nachmittags brüstete sich Mr Reeve mit irgendwelchem Zeichenpapier und brauner Tinte, die er in Rio erstanden hatte. »Eine überragende Farbe, finden Sie nicht, Mahoney?« Er betrachtete Rhia über den Rand seiner Brille hinweg und zeigte ihr, wie er seine neue Tinte an eine weitere schlechte Skizze vergeudet hatte. Die Zeichnung stellte irgendeine Pflanze dar, die er an Land gesehen hatte, doch sie sah eher aus wie ein Besen. »Ich muss sagen, die Farbe dieser Tinte hat es mir wirklich angetan. Ich frage mich, aus welcher Pflanze sie wohl hergestellt wird.«
»Sepia wird von dem Sekret von Tintenfischen gewonnen.« Rhia genoss seine hochgezogenen Augenbrauen. »Sie stoßen es aus, wenn sie sich fürchten«, fügte sie sicherheitshalber noch hinzu. Wenn Menschen bei Furcht Tinte von sich gäben, wäre dieses Schiff inzwischen voll davon.
»Wie klug, Mahoney. Kein Wunder, dass Sie nicht verheiratet sind.« Er lachte, als hätte er einen umwerfenden Witz gemacht. Rhia wandte sich wieder den Pflanzenproben auf dem Fußboden zu, und sie arbeiteten schweigend weiter. Nach einer Weile warf der Botaniker entnervt seinen Bleistift hin.
»Ich kann dieses vermaledeite Blattwerk einfach nicht zeichnen«, beschwerte er sich. Seine Frustration über sein mangelndes Talent äußerte sich für gewöhnlich nur in tiefen Seufzern und einem gelegentlichen Zusammenknüllen von Papier, doch er wollte seine Aufzeichnungen abgeschlossen haben, ehe sie Sydney erreichten, und hinkte langsam hinterher. Er zeichnete ebenso langsam wie schlecht.
Rhia versuchte nicht zu lächeln. »Vielleicht könnte ich behilflich sein …?«
Er wirkte misstrauisch. »Können Sie denn auch noch zeichnen , Mahoney?«
»Man hat es mir zumindest versichert.«
Er seufzte. »Nun gut. Dann zeigen Sie mal, was Sie draufhaben.«
Sie nahm ein Blatt seines neuen Papiers und ließ die Hand sacht über die glatte Oberfläche gleiten. Es eignete sich mehr dazu, Schießpulver einzuwickeln denn für Mr Reeve. Sie tauchte die Metallfeder seines antiken Füllhalters langsam ins Tuschefass, wobei sie das Gewicht des Stiftes in den Fingern genoss. Sie fuhr den Umriss des glänzenden Blattes nach, das auf dem Tisch lag, und fügte dann, scheinbar mühelos, die Adern hinzu. Es sah aus wie ein Kamelienblatt, allerdings viermal so groß. Als sie aufblickte, merkte sie, dass Mr Reeve sie mit unverhohlenem Neid beobachtete.
»Sie haben eine ruhige Hand, unter den gegebenen Umständen.«
»Den Umständen?«
»Nun, in Anbetracht der Situation, Sie wissen schon, die Neuigkeiten über unseren Freund Mr Blake.« Er betrachtete sie argwöhnisch. Vermutlich glaubte er, sie hätte etwas damit zu tun. Schließlich hatte sie Laurence direkt vor dem Mord besucht, und in Mr Reeves Augen war sie eine verurteilte Verbrecherin. Sie wollte ihn anbrüllen, dass Mr Blake nicht sein Freund gewesen war, sondern ihrer. Er war ihretwegen auf dem Schiff gewesen, und nun lebte er nicht mehr. Doch sie musste sich beherrschen und ihm nichts anvertrauen, auch wenn sich eine widerwillige Kameraderie zwischen ihnen zu entwickeln schien. »Es ist eine Schande, dass die Offiziere sich nicht die Mühe gemacht haben, uns über ihre Nachforschungen in Kenntnis zu setzen«, sagte sie nur, in der Hoffnung, möglichst unbeteiligt zu klingen.
»Aber das haben sie doch. Am Abend bevor wir in San Sebastiano abgelegt haben, gab es eine Zusammenkunft im Passagiersalon.«
Rhia verzog das Gesicht. »Natürlich. Man würde es nicht für nötig halten, die unter uns zu informieren, die für ihre Überfahrt nicht bezahlt haben.« Ihr Tonfall war sarkastisch. Genau wie man sie nicht zu Laurence’ Beerdigung eingeladen hatte. Albert hatte ihr davon erzählt. Doch wie immer entging Mr Reeve die Ironie. Er blinzelte sie nur an und wirkte etwas verwirrt.
»Man hat herausgefunden, dass Mr Blake aus London geflohen war, nachdem eine Geschäftsunternehmung missglückte«, erzählte er, »und dass er so sehr verschuldet war, dass seine Gläubiger ihn verfolgt und umgebracht haben. Wie ich gehört habe, hat er seine Schiffspassage in aller Eile gebucht …«
Rhia hätte ihm am liebsten eine runtergehauen. »Und woher wussten diese Gläubiger, wo er sich aufhielt?«
Der Botaniker zuckte mit den Schultern, als sei das eine unwichtige Kleinigkeit. Sein Blick
Weitere Kostenlose Bücher