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Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Titel: Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kylie Fitzpatrick
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Sepiafass nahm, fielen ein paar Tropfen auf das saubere Zeichenpapier. Es war keine große Katastrophe, aber ich fing trotzdem zu weinen an. Mr Reeve wusste nicht, wie er mit solch unangenehmen Verhalten umgehen sollte. Er bot mir ein Taschentuch an und erkundigte sich, ob ich über irgendetwas reden wolle. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist, denn ich habe ihm alles erzählt: dass ich Laurence kannte, und von der fotogenen Zeichnung und wie sie verschwunden war. Er wollte berechtigterweise wissen, was denn an diesem Porträt so wichtig sein konnte, dass jemand dafür töten würde? »Die Vorstellung ist völlig ungeheuerlich«, erklärte er. Aus seinem Munde klang es so, als hätte er genauso gut über den Tod eines Mistkäfers sprechen können.
    Natürlich verriet ich das letzte Puzzlestück nicht: dass das Porträt angeblich einen Mörder identifiziert. Was, wenn jemand annehmen könnte, es sei Ryan? Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr frage ich mich jedoch, ob Juliette sich da womöglich in etwas verrannt hat. Mr Reeve scheint vom Gedanken an das Porträt völlig fasziniert und schlug vor, dass die Männer vielleicht einen gemeinsamen Feind haben. Er fragte mich, ob mir sonst irgendein Grund einfallen würde, weshalb jemand so etwas stehlen sollte. Schließlich verlor ich die Geduld und erklärte ihm, dass ich seit Wochen über kaum etwas anderes nachgrübele, mir aber immer noch kein anderer Grund eingefallen sei. Wahrscheinlich hofft er, das Rätsel selbst zu lösen, aber er ist einfach nicht klug genug.
    Albert sagt, wir segeln jetzt nach Norden, an Australiens Ostküste hinauf, und dass wir in einer Woche in der Bucht von Sydney ankommen werden, wenn wir weiterhin den Wind im Rücken haben. Manchmal kann man am Horizont den Schatten von Land erkennen, doch inzwischen ist der Gedanke, das Schiff zu verlassen, genauso beängstigend wie damals der Gedanke, an Bord zu gehen. Ich kann den Anblick von Näharbeiten nicht mehr ertragen. Inzwischen nähen wir Hemden. Davor haben wir uns Sommerkleider gemacht. Sie sind formlos und hässlich, aus billigem braunem Baumwollstoff, aber kühler als das halbwollene Zeug. Der Quilt für die Quäker ist fertig. Er ist größer als die Decken, die in Rio verkauft wurden: an der längsten Seite mehr als einhundertzwanzig Zoll. In der Mitte befindet sich eine Stickerei, für die ich ganz vorsichtig Teile aus meinem kostbaren Chintz ausgeschnitten und als Zweig mit bunten Vögeln und Blumen arrangiert habe. Mein Fischgrätenstich ist inzwischen so sauber und schnell wie der von allen anderen.
    Zweifellos würde ich Arbeit als Näherin finden, wenn ich wieder frei bin – nicht dass ich es wollte.
    Wenn ich frei bin.
    Die Freiheit besucht mich nicht länger in meinen Träumen. Ich bin bei Tag und bei Nacht Gefangene. Ich bin so teilnahmslos, dass selbst Manannan aufgehört hat, mich zu provozieren. Meine größte Angst ist inzwischen, mich irgendwann so elend zu fühlen, dass ich überhaupt keine Farben und Muster mehr sehe.
    Der Quilt wird der Gattin des Gouverneurs von New South Wales präsentiert werden, die eine große Bewunderin Elizabeth Frys und der Gefängnisreform ist. Wir hoffen, dass sie dafür sorgen wird, ihn nach London zurückzuschicken, wo er den Damen des Convict Ship Committees überreicht wird. Miss Hayter hat sich damit einverstanden erklärt, dass Antonia Blake, als Vertreterin des Wohltätigkeitsverbands, ihn im Namen aller Frauen auf der Rajah erhalten soll. Die Widmung ist ebenfalls fertig, denn Margaret hat selbst auf der Krankenstation daran gearbeitet. Ihr Kreuzstich (der, behauptet sie, so perfekt ist, weil ihr Kreuz schmerzt) ziert die untere äußere Borte des Quilts. Letzte Nacht ist sie Mr Donovan lange genug entwischt, um mir zu erzählen, dass sie das perfekte Versteck für das Negativ gefunden hat, und ich mir keine Sorgen machen soll, weil es dort sicher verwahrt ist. Es ist seltsam, dass sie es für nötig hielt, extra herzukommen, um mir das zu erzählen, denn, wie ich ihr sagte, wünschte ich, sie wäre schon zuvor in meine Kajüte gekommen. Wir wissen aber beide, dass es zu riskant ist, wo Wardell doch immer auf der Lauer liegt. Dank der frischen Luft sah sie besser aus, und ich hoffe, dass es mit ihr bald wieder aufwärtsgeht.
    Vermutlich sollte ich mich zum Aufstehen zwingen. Auf dem unteren Deck ist heute Morgen mehr Lärm als normalerweise – vielleicht braut sich ein Sturm zusammen. Ein Sturm wäre willkommen, um die

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