Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
ein sanftes Klopfen an der Tür und Beths Stimme: »Mr Blake sagt, Sie sollen zu ihm hinaufgehen, wenn Sie fertig sind. Er ist im zweiten Stock hinten.«
Rhia kleidete sich hastig an und ließ ihre Haare ein wenig vor dem Feuer trocknen, ehe sie sie flocht. Dann machte sie sich auf die Suche nach Laurence. Der zweite Stock hatte denselben Grundriss wie der Rest des Hauses mit einem Treppenabsatz und einem Dienstmädchenschrank in der Mitte und zwei großen Zimmern auf jeder Seite. Er war in dem Zimmer, das nach Süden ging. Den ganzen Morgen hatte der Regen rhythmisch gegen die Fenster getrommelt, aber jetzt fiel ein breiter Sonnenstrahl über einen langen Tisch an die Wand. Das Zimmer war sparsam möbliert, und ein großer Perserteppich bedeckte die dunklen Dielen.
Laurence’ stattliche Gestalt war über den Tisch gebeugt. Als Rhia hereinkam, richtete er sich auf, wobei ihm eine Haarsträhne in die Augen fiel. Rhia war sich wieder nicht sicher, ob sie ihn gut aussehend fand oder nicht. Sein Blick war vermutlich ziemlich anmaßend, doch das kümmerte sie wenig.
»Ah, Miss Mahoney. Willkommen in meiner Kalotypie-Werkstatt!«
»Das klingt ja wie eine Folterkammer.«
»Ganz im Gegenteil. Im Griechischen bedeutet Kalotypie ›schönes Bild‹. Kommen Sie und sehen Sie selbst.«
Auf dem Tisch lag eine Reihe von Bildern, und sie waren wirklich wunderschön. Auf unheimliche Weise schön. Irgendwie konnte diese Wissenschaft oder Hexerei den abgebildeten Gegenstand verzaubern, sei es die Membran eines Blattes, die Zartheit eines Stücks Spitze oder – das war am außerordentlichsten – eine Anzahl von Miniaturporträts ernst dreinblickender Herren. Diese waren sein neuestes Vorhaben, erklärte Laurence. Die Idee zu Visitenkarten mit Porträts hatte er sich in Paris abgeschaut, wo sie gerade der letzte Schrei waren. Das schemenhafte Schultertuch aus Spitze, die muschelförmige Häkelarbeit und die Lochstickerei gehörten Antonia, wie er berichtete.
»Aber wie wird das gemacht?«, fragte Rhia atemlos. Sie konnte ihren Blick nicht von den Bildern abwenden. Sie sahen aus, als wären sie gar zierlich von einer unglaublich ruhigen Hand mit feinster schwarzer und brauner Tinte gezeichnet worden.
Laurence sah sie erfreut an. »Das soll ein Geheimnis bleiben«, flüsterte er, doch sie merkte schon, dass er es nicht für sich behalten wollte. »Fox Talbot hat sich den Prozess der Kalotypie nämlich patentieren lassen. Daher muss man eine spezielle Lizenz beantragen, damit man dann selbst auch fotogene Zeichnungen herstellen darf. Er hat außerdem auch entdeckt, dass es eine Möglichkeit gibt, mehrere Darstellungen von einer einzigen Belichtung zu machen. Ich erwarte nicht, dass Sie verstehen, was das bedeutet, aber vielleicht würden Sie ja gerne zusehen, wie ich ein Bild entwickle.«
Rhia hatte in der Tat keine Ahnung, wovon er eigentlich sprach. Daher nickte sie bloß und ließ sich auf einen Hocker neben dem Tisch sinken. Unwillkürlich überlegte sie, wie wohl diese Muster auf Leinen gedruckt wirken würden, aber dann fiel ihr wieder ein, dass sie ja nicht länger die Tochter eines Leinenhändlers war. Aber wer war sie dann? Darauf hatte sie keine Antwort. Also konzentrierte sie sich auf die Motive. Auf Seide gedruckt würden sie sich sogar noch besser machen, aber sie war auch nicht die Tochter eines Tuchhändlers.
Laurence begann zu erklären, wie er das Papier, das er beim Schreibwarenhändler erstanden hatte, erst behandeln musste, damit es lichtempfindlich wurde. Dieser chemische Prozess musste bei Nacht und Kerzenlicht ablaufen, um das bestmögliche Resultat zu erzielen. Er habe allerdings einige Papiere, die bereits behandelt seien, meinte er. »Am besten verwendet man ein Pergament mit einer glatten Oberfläche«, erklärte er, während er ein Blatt Papier aus einem Schreibpult nahm. »Außerdem sollte das behandelte Papier nicht mehr mit Licht in Kontakt kommen. Sie werden gleich sehen, wieso. Ich werde Ihnen ein kleines Experiment vorführen. Für kompliziertere Bilder, wie zum Beispiel Porträts, braucht man eine Linse und eine Lichtbox.«
Er legte das Papier auf den Tisch und platzierte eine getrocknete Weizenähre darauf. Innerhalb von Sekunden wurde das Papier dunkler und war rasch ganz schwarz. Nach einer knappen Minute entfernte Laurence die Ähre. Ihr fedriger Umriss zeichnete sich in all seinen filigranen Details, blass und perfekt, auf dem tintenschwarzen Papier ab.
Rhia sah zu, wie Laurence
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