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Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Titel: Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kylie Fitzpatrick
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der Heiligen Jungfrau gesehen«, sagte sie schließlich. »Sie schaut auf jedem Bild anders aus, finden Sie nicht? Auf diesem hier ist sie blass mit gelblichem Haar, und auf dem neben … den Bäumen ist sie schwarz wie ein Mohr.« Antonia betrachtete die Ikonen, als hätte sie sich noch nie darüber Gedanken gemacht. »Ja, das stimmt. Seltsam. Ich habe sie immer geliebt, obwohl viele Quäker Ikonen für Götzendienst halten. Aber ich persönlich glaube, dass gewisse Aspekte des Göttlichen durchaus in religiösen Bildern eingefangen werden können. Aber Sie haben recht, Maria erscheint hier in der Gestalt aller möglicher Frauen …«
    Rhia hätte gerne gesagt, dass die Heilige Jungfrau vielleicht tatsächlich alle möglichen Frauen war , genau wie Anu. »Ich beneide Sie um Ihren Glauben«, erklärte sie stattdessen.
    »Oh, den hatte ich nicht von Anfang an. Meine Familie war anglikanisch, aber ich bevorzuge die Schlichtheit des Quäkertums.« Sie sagte das beinahe so, als wollte sie sich selbst davon überzeugen, dann seufzte sie. »Leider ist das innere Licht nicht immer hell genug, um den Weg zu weisen.«
    Das Quäkertum schien alles andere als einfach zu sein. »Dann denken Sie also, dass der Glaube – ein Licht ist?«
    Antonia antwortete längere Zeit nicht. Sie schenkte ihnen beiden Kaffee ein, beobachtete, wie sich die aromatische Flüssigkeit in die weißen Porzellantassen ergoss, setzte dann ihre Brille auf und warf einen Blick auf die Titelseite des London Globe . Rhia wartete. Schließlich nahm Antonia die Brille wieder ab.
    »Ich bin der Überzeugung, dass der Glaube so ähnlich ist, als würde man im Dunkeln wandeln, nur vom inneren Licht erhellt. Aber ich bin mir ganz sicher, dass jeder mitfühlende Gott sicherlich lieber möchte, dass wir unsere Liebe den Armen und Leidenden schenken, als sie in Gebeten an Gipsstatuen zu verschwenden.«
    Noch ehe Rhia antworten konnte, erschien Laurence mit blutunterlaufenen Augen und noch zerzauster als am Vortag. Sein »Guten Morgen, die Damen«, ging beinahe im Hämmern des Türklopfers unter. Bei dem Geräusch stöhnte er auf und massierte sich mit den Fingerspitzen die Schläfen, während Juliette an der Tür vorbei durch die Eingangshalle eilte.
    »Für die Morgenpost ist es noch zu früh«, stellte Mrs Blake stirnrunzelnd fest. »Wer könnte zu dieser Uhrzeit vorsprechen? Wie spät ist es überhaupt, Laurence?«
    Laurence zog eine angeschlagene Taschenuhr heraus. »Gerade erst neun. Eine gottlose Zeit. Ich hasse Besuche am Morgen.« Er nahm gähnend Platz und nickte Mrs Blake dankbar zu, als sie ihm Kaffee eingoss.
    Wieder entstand eine Stille, als sie hörten, wie die Haustür in den Angeln knarrte. Dann erklang leises Gemurmel. Rhia erschauderte. Sie schloss die Augen und spürte eisige Kälte. Ein Hauch von Brandgeruch ließ sie die Augen wieder öffnen und die fotogenen Bäume betrachten. Wie befürchtet, war der Schatten wieder da, als wäre eine Gestalt zwischen diesen blassen Stämmen herumgehuscht und hätte einen Abdruck hinterlassen.
    Cailleach?
    Juliette war mit einem gefalteten Stück Papier an den Tisch gekommen, das sie Laurence überreichte. Sie eilte davon, als würde auch sie seinen Inhalt fürchten.
    Laurence entfaltete das Papier zögerlich, dann las er die Botschaft. Rhia beobachtete seinen Gesichtsausdruck. Antonia beugte sich scheinbar selbstvergessen über die Zeitung und nippte an ihrem Kaffee. Die Nachricht entglitt seinen Fingern und fiel auf den Tisch. Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Antonia sah auf und nahm die Brille ab.
    »Laurence! Was ist passiert?«
    Er schob ihr die Nachricht hinüber. Antonia las sie und legte sie anschließend quälend langsam nieder.
    Irgendjemand war gestorben.
    Mrs Blake griff nach Rhias Hand und umklammerte sie fest.
    »Ryan«, sagte sie.
    Es war ein Scherz. Jemand hatte diese Botschaft als Witz geschrieben, zum Amüsement. Wie geschmacklos. Laurence war aufgesprungen.
    »Er ist tot.« Antonia klang wie betäubt.
    Rhia schüttelte den Kopf. »Nein!« Hatte sie geschrien? Es war möglich. Sie konnte nicht denken, und sie konnte sich keinesfalls bewegen. Antonia hielt immer noch ihre Hand, doch Rhia zog sie weg und stand abrupt auf, wobei sie ihren Stuhl umwarf. Niemand machte Anstalten ihn aufzuheben. Antonia barg den Kopf in den Händen.
    Laurence sah aus, als würde er gleich in Ohnmacht fallen. »Wer hat diese Nachricht geschickt?«, wollte Rhia wissen. Das war eine überraschend vernünftige

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