Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
in ihrer unordentlichen Küche herum und blieb schließlich mit einer Hand in die Hüfte gestützt stehen. Unverhohlen musterte sie Rhia. »Brauchen Sie was für die Nerven, Miss?«
Rhia musste gegen ihren Willen lächeln. »Seh ich so aus?«
»Eigentlich nicht, aber bei den feinen Ladys merkt man’s nicht immer gleich. Ich hab da so ’nen Sirup, den nehm ich selber immer, wenn …« Sie deutete zur Gasse hinaus, wo es klang, als wäre gerade ein Faustkampf im Gange … »sie so arg sind. Ist nur Ysop, Stinkkohl, ein paar Wurzeln und etwas Ingwer.«
Das klang nach einem grässlichen Gebräu. »Ich glaube, Tee …«
»Und Sie müssen auch was essen.« Mrs Bribb machte sich daran, Apfelkonfitüre, Käse und einen recht trockenen Rührkuchen auf einem Tablett zusammenzustellen. Rhia nahm nur deswegen ein, zwei Bissen davon, weil sie beobachtet wurde. Und als sie dank Tee und Marmelade offensichtlich wieder zu Kräften gekommen war, fiel ihr ihre Frage wieder ein.
»Mrs Bribb, Sie meinten doch, dass mein Onkel … die Pistole abgefeuert hat, als gerade ein Schiff einlief, oder?«
»Na, das wär jedenfalls der perfekte Zeitpunkt dafür, wenn Sie wissen, was ich mein.«
»Wegen des Lärms?«
»Genau.«
Rhia runzelte die Stirn und versuchte angestrengt, einen Gedanken festzuhalten, der ihr zu entgleiten drohte. »Wann hat denn das letzte Schiff angelegt?«
»Dienstagabend.«
»Und woher kam es?«
»Bombay, glaub ich.«
»Und hat er eine Tuchlieferung bekommen?«
»Ich glaube schon, aber das kann ich nich mit Sicherheit sagen, Miss. Über und unter Mr Mahoneys Stockwerk sind auch Lager, drum ist das ein ständiges Kommen und Gehen.«
Rhia spürte Laurence’ Blick.
»Was denken Sie, Rhia?«
»Ich weiß es ehrlich gesagt selbst nicht. Würde mein Onkel erst noch eine Lieferung annehmen und dann …?«
»Verstehe.« Laurence nickte, aber Rhia konnte ihm ansehen, dass er sie für verwirrt hielt. Doch sie wurde trotzdem das Gefühl nicht los, dass Ryan irgendwelche Nachrichten erhalten hatten, die ihn gequält und aus dem Gleichgewicht gebracht hatten. Mrs Bribb wies ihnen den Weg zur St.-Andrew’s-Kapelle, drei Straßen weiter, und sie dankten ihr und gingen.
Der ältliche Priester, der ihnen dort die Tür öffnete, war zerzaust, gähnte und roch nach Messwein. Er blinzelte ihnen entgegen, als hätte er seit einer Woche kein Tageslicht mehr gesehen. Doch er war zuversichtlich, dass sich in dem kleinen Friedhof ebenso wie im Jenseits für alle seine Gemeindemitglieder ein Platz finden würde. Es war herauszuhören, dass Ryan Mahoney ein großzügiger Gönner gewesen war, der sich sowohl seinen Platz im Himmel als auch ein anständiges Begräbnis verdient hatte.
Ehe er wieder zu seiner Andacht zurückkehrte, verwies er sie noch an einen Tischler, ein kleines Stück am Fluss entlang Richtung Spice Quay. Rhia äußerte ihre Verwunderung erst, als sie und Laurence bereits wieder unterwegs waren.
»Meinen Sie, der Priester dachte, wir wollen Möbel schreinern lassen?«
Laurence lächelte schwach. »Tischler sind in London meistens auch Leichenbestatter.«
Aus der Werkstatt des Schreiners erklang Hämmern und Sägen, und es roch nach Hobelspänen und Flachs. Für drei Pfund konnten sie ein anständiges, aber bescheidenes Begräbnis für den kommenden Dienstag vereinbaren. Rhia fiel auf, dass das dann genau eine Woche nach ihrer Ankunft war. Für drei Pfund bekam man einen Leichenwagen mit einem Pferd, einen soliden Sarg aus Ulme sowie einen Kutscher und Träger mit Hutband und Handschuhen.
Laurence bezahlte den Schreiner so rasch, dass Rhia keine Gelegenheit hatte zu protestieren. Er versicherte ihr, es sei ihm eine Ehre, ein paar Pfund für einen Freund auszugeben. Dann nahm er sie am Ellbogen und führte sie zu ihrer Droschke. Der Kutscher mit dem Pork-Pie-Hut rauchte und pfiff fröhlich vor sich hin. Er hatte sich für diesen Tag ein saftiges Fahrgeld gesichert.
Rhia beobachtete, wie die Sonne über dem Fluss schwebte und das dunkle Wasser golden sprenkelte, als sie die Blackfriars Bridge überquerten. Es kostete sie all ihre Kraft, nicht in einer Ecke der Kutsche zusammenzubrechen.
Als sie endlich die Cloak Lane erreichten, war es dunkel in den Straßen, und die Gaslichter flackerten. Während Juliette die Tür öffnete, ging Rhia einfach an ihr vorbei, ohne den Mantel auszuziehen. Sie fühlte sich so leicht. Sie schwebte förmlich. Als Antonia in der Tür des Arbeitszimmers ihres Mannes erschien,
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